Mülheim. . Nachdem Finanzminister Schäuble zugesicherte Milliarden für die Kommunen eingefroren hat, schwillt der Protest bundesweit an. Von Frankfurt bis Lahnstein reihen sich Städte ein. Sie wollen die Kürzung nicht hinnehmen. Für nächsten Freitag haben sie sich in Mülheim verabredet.
Die alltagstaugliche Regel, dass man über Geld nicht spricht, sondern es lieber hat, wird in diesen Tagen in ihr Gegenteil verkehrt und Schuld daran ist nicht zuletzt Wolfgang Schäuble. Seit Monaten verfolgt der Bundesfinanzminister das Ziel, einen in Einnahmen und Ausgaben formal ausgeglichenen Haushalt vorzulegen; ach was, in den Geschichtsbüchern mit seinem Namen zu verweben.
Kaum ein Topf war vor Schäuble sicher, selbst die Beiträge der Krankenversicherten lenkte Merkels Macher schon um. Jetzt hat es auch die Städte getroffen. Schäuble vertagte die zugesicherten Milliardenhilfen für Soziallasten um ein, beziehungsweise vier Jahre und konnte so, simsalabim, gestern seine Erfolgsmeldung gebührend feiern. Haushaltsausgleich geschafft, Zahlen-Weltmeister! Die wenigsten haben sich mit ihm gefreut. Die Oberbürgermeister landauf, landab schon mal gar nicht, allen voran: Dagmar Mühlenfeld.
"Raus aus den Schulden"
Mülheims Oberbürgermeisterin ist als Sprecherin des Städtebündnisses „Raus aus den Schulden“ seit Jahren unterwegs, um Entlastung von Bund und Land einzufordern. Nach Lektüre des schwarz-roten Koalitionsvertrags im Herbst wähnte sie sich dem Ziel ein entscheidendes Stück näher. Eine Soforthilfe von einer Milliarde Euro über die Entlastung bei der Grundsicherung im Alter hinaus und die Übernahme der Eingliederungshilfen für Behinderter im Wert von fünf Milliarden Euro war darin avisiert.
Von solchen Beträgen kann man beispielsweise getrost jeweils ein Prozent für eine Stadt von der Größe Mülheims verbuchen, also eine und fünf Millionen Euro. Für eine Stadt mit 1,3 Milliarden Euro Schulden viel Geld. Nachdem Schäuble aber zunehmend den Wert eines ausgeglichenen Haushalts öffentlich betonte, wurde die kommunale Familie, wie Mühlenfeld den Verbund der Städte gerne nennt, stutzig.
Große Zahlen, große Pläne
Im Januar reiste eine Delegation von Revier-OB’s nach Berlin zu „Sondierungsgesprächen“. Man empfing sie freundlich und, wie Mühlenfeld in der Rückschau fand, „auf Augenhöhe. Mit wem wir auch sprachen, das Problem der Kommunen wurde anerkannt.“ Allerdings, dass Schäuble das Haushaltshemd näher sein könnte als die Jacke des kommunalen Wohltäters, das pfiffen da schon die Verhandlungspartner auf den Fluren. Im Februar dann schrieb Mühlenfeld an Bundeskanzlerin Merkel und Bundeswirtschaftsminister Gabriel und bat nochmal um Worttreue. „Die angekündigten fünf Milliarden Bundesmittel müssen schnell ankommen.“
Genutzt hat es nichts. Und was macht man jetzt? „Weiter“, sagte Mühlenfeld gestern schmallippig, „wir machen weiter.“ Die Hoffnung ist, dass Schäubles Terminplan im Bundestag aufgeweicht wird. Käme es dazu, hätten alle was davon; die Kommunen hätten früher ihr Geld, CDU und SPD hätten Kontur und Nähe zur Basis gezeigt und Schäuble? Könnte den Blick ganz weit nach vorne richten und die Kommunen mit einem kompletten Schuldenabbau ab 2020 locken.
Demonstration der Stärke
Wie? Indem Bund, Länder und Städte einen Altschuldenfonds auflegen, der, ähnlich wie der Kriegslasten-Tilgungsfonds, alle laufenden Verbindlichkeiten bündelt, damit aus den Büchern nimmt, und nach dem Solidargedanken abträgt. Die Begleitmusik zu dieser historischen Problemlösung wäre die schon beschlossene Schuldenbremse in Bund und Ländern. Vor der Größe dieser Idee, die in Berlin immer größere Kreise zieht, verblassten natürlich Streitigkeiten um einzelne Milliarden...
Mühlenfeld kennt natürlich auch diese Überlegungen, will aber den Kampf um jede einzelne Milliarde weiterführen. Neben den altbekannten, Dutzenden nordrhein-westfälischen Städten im Aktionsbündnis hat sie 15 weitere in ganz Deutschland gefunden, die sich dem Widerstand anschließen wollen, große wie Frankfurt und Mannheim, kleine wie Pirmasens oder Lahnstein, insgesamt so großkoalitionär wie die Regierung in Berlin. Sie alle sind, wie der Name des Bündnisses sagt, zu „Aktionen entsschlossen“, so Mühlenfeld - und zwar ganz gleich, gegen welchen Teil der großkoalitionären Regierung er sich nun richtet.
Schlimme Zahlen
Am Freitag, 21. März, kommen sie in Mülheim zusammen, um Entschlossenheit zu demonstrieren. 46 Milliarden Euro an Soziallasten schultern mittlerweile die Städte bundesweit, 50 Milliarden Euro leihen sie sich dafür kurzfristig bei Banken. Oder auf griffigere Mülheimer Verhältnisse berechnet: 225 Millionen Euro Soziales, 800 Millionen Euro Überziehungskredit und ein Haushaltsloch von 90 Millionen Euro, also 14 Prozent des Etatvolumens.
Hätte Schäuble diese Werte, wäre ihm auch ein Platz in den Geschichtsbüchern sicher. Nur anders.