Mülheim. Alarmierende Zahlen veröffentlichte kürzlich die DAK NRW. Die Zahl der stationären Behandlungen von Kindern und Jugendlichen mit Depressionen sei im Bundesland laut Statistischem Bundesamt in zehn Jahren von 808 auf 4333 in 2012 gestiegen.
Der Direktor der auch für Mülheimer Kinder und Jugendliche zuständigen Essener Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, Professor Dr. med. Johannes Hebebrand, ist nach Prüfung der Zahlen in seinem Haus selbst etwas überrascht. „Im Jahr 2004 betrug die Zahl der stationären Aufenthalte mit der Diagnose Depressionen bei allen Patienten 7,5 %, im Jahr 2013 bereits 27 %.“
Nachgefragt hat die WAZ, weil die DAK NRW kürzlich alarmierende Zahlen veröffentlichte. Die Zahl der stationären Behandlungen von Kindern und Jugendlichen mit Depressionen sei in NRW laut Statistischem Bundesamt in zehn Jahren von 808 auf 4333 in 2012 gestiegen. „Und die Klinikaufenthalte sind ja nur die Spitze des Eisbergs“, sagt DAK-Sprecher Rainer Lange.
Die Behandlungen in Tageskliniken und bei Psychotherapeuten kämen noch hinzu. Die Bereitschaft, sich behandeln zu lassen, sei erfreulicherweise in den letzten Jahren gestiegen. Aber der erschreckend hohe Anstieg sei auch mit stetig wachsenden Anforderungen zu erklären. Suizidgefahr, Ausweglosigkeit, fehlender Halt in Familien oder Leistungsdruck führten zur Zunahme der Erkrankungen, so Lange.
"Zahlreiche Kinder bewegen sich zu wenig"
Prof. Hebebrand von der zum Landschaftsverband Rheinland (LVR) gehörenden Klinik vermutet ebenfalls verschiedene Ursachen. „Wir als Psychiater vergeben die Diagnose“, erklärt er, und diese hätten sich in den letzten Jahren gewandelt. Früher wurden Störungen, die heute als Depression eingestuft werden, im Kindesalter z.B. eher als emotionale Störung diagnostiziert.
LVR-Klinik für Mülheim zuständig
Die LVR-Klinik behandelt Kinder ab dem Alter von fünf oder sechs Jahren bis zu einem Alter von 18 Jahren, manchmal auch darüber hinaus. Sie hat 50 stationäre und 31 Tagesklinik-Plätze, davon zehn in Mülheim-Saarn und 21 in Essen-Altenessen.
Eine Aufnahmepflicht besteht grundsätzlich bei selbst- oder fremdgefährdeten Kindern und Jugendlichen. Eine sogenannte elektive Aufnahme besteht bei Kindern und Jugendlichen, die nicht ganz so dringend stationärer Aufnahme bedürfen und ambulant und in der Familie noch versorgt werden können.
Bei der elektiven Aufnahme besteht ein „Pflichtversorgung“ für die jungen Patienten aus Mülheim, die zu 100 Prozent aufgenommen würden. Das Versorgungsgebiet hat rund eine Million Einwohner.
Mehr unter www.buendnis-depression.de oder www.dgkjp.de
Dann habe sich auch die Sensibilität bei den Eltern verändert, das sogenannte „Inanspruchnahme-Verhalten“, wie Hebebrand erläutert. Eltern ließen Auffälligkeiten ihrer Kinder zunehmend behandeln. Auch gesellschaftliche Veränderungen seien relevant. Familien werden kleiner, es gibt mehr alleinerziehende Eltern, die Zahl der Bezugspersonen wird für viele Heranwachsende also geringer. Ein anderer Stressfaktor – psychische Krankheiten hätten selten nur einen Grund – sei ein veränderter Lebensstil. „Zahlreiche Kinder bewegen sich zu wenig“, so der Psychiater, gingen zu wenig raus. Damit einher gehe häufig Übergewicht, das wiederum ebenfalls zu Depressionen führen könne. Einige litten auch unter Vitamin-D-Mangel oder kämen mit steigenden schulischen Anforderungen nicht zurecht. „Körperliche Aktivität hat eine antidepressive und angstlösende Wirkung.“
Es müsse präventiv nachgedacht werden, ein gesellschaftliches Umdenken erfolgen, damit Kinder und Jugendliche in der heutigen Gesellschaft besser zurechtkämen, wünscht Prof. Hebebrand und ergänzt: „Es gibt eine, regional unterschiedliche, Problematik aufgrund unzureichender Therapieplätze.“