Margitta Ulbricht sprach mit Roberto Ciulli über die Finanzkrise, die Folgen für die Theaterlandschaft und über seine Pläne
Sind die Auswirkungen der Wirtschaftskrise spürbar?
Ciulli: Ja klar. Die ersten Signale sind schon da, und Theater sind finanziell bedroht. In NRW haben wir die besondere Situation, weil die Theater Sache der Kommunen sind. In Schwierigkeiten geratene Städte müssen mit einer Haushaltssperre rechnen. Da kommt eine Horror-Vision auf, dass 2010/11 kaum Geld da ist.
Sparzwänge gibt es schon länger.
Dazu kam, dass man in den 90er Jahren angefangen hat, eine Event-Kultur aufzubauen, in die sehr viel Geld investiert worden ist. Die deutsche Theaterlandschaft, besonders in Nordrhein-Westfalen, ist sehr gut entwickelt. Auf der ganzen Welt gibt es nichts Vergleichbares. Man könnte sagen, die ganze Theaterlandschaft Deutschlands ist ein Kulturerbe, es ist das einzige Land, das solch eine differenzierte Theaterkultur aufgebaut hat. Nun beginnen wir zu verstehen, wie wichtig die Bindung zwischen Bildung und Theater ist. Wenn wir jetzt anfangen, uns von der Grundidee des deutschen Theaters zu verabschieden und amerikanische Verhältnisse schaffen, dann wird in einem Land, das eine tiefe Bildungskrise zu bewältigen hat, schnell alles zusammenbrechen.
Wie sehen Sie die Situation in Mülheim?
Mülheim hat vor fast 30 Jahren mit der Gründung des Theater an der Ruhr einen absolut wichtigen Schritt nach vorne gemacht. Wir haben hier keine Stadttheaterstruktur, sondern ein Modell ohne die Zwänge der Theatertarifverträge und von hoher Flexibilität aufgebaut. Dieses Modell war damals und ist heute noch zukunftsweisend. Das Theater hat in eine Struktur investiert, die die Krise umkehren könnte. Ich komme fast ins Stottern, wenn ich sage, dass wir von dieser Krise sogar noch profitieren könnten, weil wir mit diesem Modell andere Theater bespielen können, falls es zu einer Reduzierung von Ensembles käme.
Anders als bei Stadttheatern sind Sie finanziell nicht vollständig von der Kommune abhängig.
Ja. Gegenüber anderen städtischen Theatern tragen wir etwa 30 Prozent eigene Einnahmen, aber wir sind natürlich auch von der Stadt abhängig. 1,8 Mio Zuschuss kommen von der Stadt. Ich will gar keinen Vergleich mit Essen, Bochum oder Düsseldorf anstellen, das sind andere Summen. Schauen Sie sich die Stadt Coburg mit unter 50 000 Einwohnern an, die gibt 4,5 Mio fürs Theater. Mülheim hat über 170 000 Einwohner. Man könnte sagen, dass es wenig ist, was die Stadt Mülheim dafür gibt. Aber das ist kein Argument in der Krise. Ich denke da eher an die Zukunft. Mülheim hat sich sehr gut positioniert. Wir verdienen das Label Theaterstadt. Mit dem Theater an der Ruhr, mit den Stücken, dem Ringlokschuppen und allem anderen, was dazugehört.
Apropos Geld: Die Weißen Nächte sind von jeher eintrittsfrei.
Die Weißen Nächte haben einen Symbolcharakter, weil sie hohe Kultur zum Nulltarif sind. Ich glaube, wir brauchen in dieser Zeit mehr davon, wo immer mehr Leute immer weniger Geld haben. Da ist es gut, dass wir dieses Angebot haben. Die Kultur ist ein gutes Mittel gegen Depressionen.
Hartz-IV-Empfänger kommen kostenlos ins Theater. Wird es angenommen?
Es wird gut angenommen. Es kommen sogar Leute mit einem Blumenstrauß an die Kasse, um sich zu bedanken.
Nun sind Millionen von Steuergeldern zur Rettung der Banken perdu gegangen.
Die Finanzkrise trifft uns jetzt, weil so viele Milliarden zur Rettung der Banken geflossen sind. Die Kommunen geraten zunehmend in Schwierigkeiten, weil sie weniger Steuern haben. Es wäre unglaublich pervers, wenn man Banken durch Steuergeld rettet, und Theater, die Kultur, in die Pleite gehen ließe. Die ganze Welt ist auf unser Theatersystem in Deutschland neidisch. Diese einzigartige Tradition muss bewahrt werden.
Was ist zu tun?
Meine Vorschläge sind die Vorschläge eines Schauspielers. Und ich sage: Von dem Geld, das zur Rettung einer Bank investiert wird - ein Prozent für ein Theater oder für eine andere Kulturinstitution oder meinethalben für eine Zeitung zur Bewahrung demokratischer Verhältnisse.
Wird es schwieriger, Spenden zu bekommen?
Ja, das wird absolut schwieriger. Aber es war schon immer schwer, Sponsoren zu gewinnen, weil Theater ein Produkt ist, das man nicht an die Wand hängen kann.
Apropos Sponsoren. Für die Medl, die ja die Weißen Nächte mit unterstützt, rollen Sie jetzt mit ihrem Konterfei als Werbeträger auf Bussen durch die Stadt.
Ich hoffe, dass die Bürger nicht glauben, dass ich dafür Geld kriege.
Gibt's konzeptionelle Veränderungen für die Zukunft, mehr für die Jugend?
Seit den 90er Jahren haben wir uns immer mehr für die Jugend engagiert. Wir waren die ersten, die Verträge mit Schulen geschlossen haben und wir haben das Theater voll mit jungen Leuten. Erst kürzlich hatten wir die Schultheatertage hier, die sehr erfolgreich waren. Das Theater sollte einen Menschen sein ganzes Leben lang begleiten, von der Kindheit bis ins hohe Alter.
Was erwartet uns in der nächsten Spielzeit?
Ich bereite gerade ein zentrales Fassbinder-Projekt vor, mit dem wir die Spielzeit eröffnen. Es sind drei Stücke von Rainer Werner Fassbinder in einem Abend. Es ist das erste Mal in der Bundesrepublik, dass nach dem Tod von Fassbinder grundsätzlich mit dem Theaterautor beschäftigt. Als Theaterautor ist Fassbinder im Ausland geschätzt und wird gespielt. Und das zweite große Projekt ist die Odyssee für die Kulturhauptstadt. Danach kommt Theater der Welt nach Mülheim, das begehrteste internationale Festival. Es ist die größte Anerkennung, der internationalen Arbeit, die das Theater an der Ruhr seit 30 Jahren leistet.
Sie sind jetzt 75 Jahre. Eigentlich könnten Sie es etwas ruhiger angehen lassen.
Als ich 75 wurde, habe ich mir das überlegt. Aber es geht nicht, weil man sich in dieser Zeit nicht zurückziehen darf. Nein, in dieser Zeit muss man für das Theater kämpfen. Wir dürfen nicht zurück schauen, sondern müssen nach vorne. Wir müssen noch mehr Leute mit guten Inszenierungen und Qualität überzeugen.
Also hat das Boccia-Spiel draußen in Park noch ein bisschen Zeit?
Zum Boccia-Spielen kriegen sie mich sowieso nicht. Wenn, dann das Meer. Ich bin ein Meer-Mensch, entweder der Atlantik oder der Pazifik wartet auf mich, aber nicht das Boccia-Spiel.