Mülheim. . Trauriger Rekord für die Stadt Mülheim: Die Stadt kommt auf 210.156 Krankentage im Jahr. Damit ist der Krankenstand hier deutlich höher als im Umland. Das liegt auch daran, dass psychische Erkrankungen hier besonders hartnäckig sind.
Die Klassiker-Pärchen: Stress und Job, Zeitdruck und Überforderung, Informations- und Bilderflut, Partner und Streit, Angst und Panik-Attacken, Depression und Burnout, Auszeit und gelber Schein. Die schnelllebige Zeit hat ihren Preis. Und die Konturen zwischen Arbeit, Freizeit und Familie verschwimmen immer mehr. „Die Rahmenbedingungen für Arbeit haben sich stark verändert“, sagt Roland Angenvoort. Seit 1. März ist er Regionaldirektor der AOK.
Demografischer Wandel und eine Gesellschaft im Umbruch werden immer mehr auf dem Rücken der Gesundheit ausgetragen. Das ist wörtlich gemeint. Rückenleiden dicht gefolgt von psychischen Erkrankungen stehen an der Spitze. „Diese Fälle dauern in Mülheim länger als im Rheinland“, weiß Andreas Schmidt vom Institut für Betriebliche Gesundheitsförderung (BFG). In Mülheim sind über 13.000 Menschen bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse versichert.
Die Ausfallzeiten sind in Mülheim im Vergleich mit der Region überdurchschnittlich hoch, geht aus einer Analyse hervor. Die Krankheitstage aller Mülheimer Versicherten 2011 summieren sich auf 210.156. Mülheim hatte den höchsten Krankenstand. „Der Jüngere ist häufiger krank, aber kürzer und der Ältere ist länger krank, dafür intensiver.“ Was sich in den Ausfall-Kosten niederschlägt, „die hier überdurchschnittlich hoch sind“, betont Angenvoort: 84 Mio Euro.
AOK will neue Wege gehen
Die betriebliche Gesundheitsförderung sei eine lohnende Investition. Von „Humankapital“ spricht Angenvoort, „das man gut und schonend behandeln sollte“. Beim demografischen Wandel und im Hinblick auf den Fachkräftemangel gewinne die betriebliche Gesundheitsförderung zunehmend an Bedeutung. Da seien die Unternehmen gut beraten, etwas für ihre Mitarbeiter zu tun, um sie für sich zu gewinnen und zu halten. „Es findet ein kompletter Paradigmenwechsel statt“, so Angenvoort.
Steigende Krankenstände, Lohnfortzahlungen und Kosten stellen die AOK auch vor eine Herausforderung. „Wir brauchen neue Lösungen, wir müssen in die Betriebe und die Situation analysieren.“ 650 Betriebe wurden im vergangenen Jahr betreut, die Krankenstandsdaten analysiert, wenn gewünscht. In den Unternehmen lokalisieren, „wo die Auffälligkeiten sind und welche Kosten durch die Arbeitsunfähigkeit entstehen“, erläutert Schmidt.
„Man kann lernen, psychisch etwas robuster zu werden.“
Wenn es auffällig hohe und lange Krankenstände bei Mitarbeitern gibt, „dann fragen wir immer nach der Arbeitsplatzbeschreibung“. Das Ziel: krankmachende Bedingungen zu beheben. Manchmal geht das auch ganz unkompliziert wie bei einer Firma, wo die Zahl der Atemwegserkrankungen im Bereich der Lkw-Beladung hoch war. Der Grund: Zugluft.
Neue Wege in der betrieblichen Gesundheitsvorsorge will die AOK gehen. Neben der Rückenschule sind auch Seminare im Angebot, die die psychische Widerstandsfähigkeit stärken. „Man kann lernen, psychisch etwas robuster zu werden.“ Stressmanagement, Entspannungstechniken, Belastungen abbauen und Arbeitspausen zählt Angenvoort auf. Die Kunst sei, „diejenigen zu bewegen, die nachlässig mit ihrer Gesundheit umgehen“. Und so appelliert er an die Menschen, etwas für sich zu tun: „Seid euch etwas wert!“