Mülheim. Konkrete Zahlen gibt es nicht, die gefühlten Eindrücke aber sind eindeutig: Die Nachfrage nach barrierefreien Wohnungen für Senioren steigt stetig an, das Angebot kann damit nicht Schritt halten. Zudem können sich ältere Menschen mit ihrer Rente keine allzu teuren Unterkünfte leisten.
Belastbare Zahlen gibt es nicht, der gefühlte Eindruck von Fachleuten ist eindeutig: In der alternden Stadt Mülheim fehlt guter Wohnraum für Senioren. Vor allem bezahlbarer.
Darauf hingewiesen hatte in der vergangen Woche Harald Bartnik, Geschäftsführer des Mieterschutzbundes: Barrierefreie Wohnungen kosten ab elf Euro pro Quadratmeter aufwärts, selten bis 20 Euro. Bartnik: „Ein normaler Rentner wird sich aber nur bei vier bis sechs Euro Miete bewegen können. Von solchen Wohnungen haben wir viel zu wenig.“
Förderbindungen laufen aus
Jörg Marx, Sozialplaner bei der Stadt, bestätigt den wachsenden Bedarf: „Dieses Thema begegnet uns überall.“ Manchmal mit dramatischen Auswirkungen. Marx berichtet von einer Frau, die „ein Jahr lang in der eigenen Wohnung eingesperrt“ war, weil sie die Treppe nicht mehr schafft. Geeignete Wohnungen könne er „jede Woche vermitteln. Wenn wir welche hätten. Es gibt ständig Anfragen.“
Möglichst lange im eigenen Haus bleiben
Damit Senioren nach Krankheit, einem Unfall oder gravierenden Veränderungen der Lebensumstände (etwa durch den Tod des Partners) nicht akut in eine schwierige Wohnsituation stolpern, sollten sich alternde Menschen rechtzeitig Gedanken machen, rät Holger Förster von der Senioren- und Wohnberatung des Sozialamts.
Aus dem eigenen Beratungsalltag weiß er von vielen Hauseigentümern, die sich früh überlegen, wie sie möglichst lange im eigenen Haus bleiben können. Förster gibt Tipps für die Umgestaltung und zu Fördermitteln. Für Mieter verhandelt er mit Vermietern. Denen rät er grundsätzlich zum Umbau: Das steigert die Wiedervermietbarkeit. Infos und Kontakt: 455 50 59.
Infonachmittag des Katholischen Bildungswerks
Die Wohnberatung des Sozialamtes für Senioren gewinnt immer mehr an Bedeutung, berichtet Sozialplaner Jörg Marx. Zwei derzeit frei Stellen (von insgesamt vier) sollen kurzfristig besetzt, die Mitarbeiter zudem geschult werden, um zu Umbauten von Wohnungen zu beraten. Marx wünscht sich, dass über das Thema insgesamt mehr gesprochen wird. „Obwohl wir in Mülheim schon gut vernetzt sind.“
Das Katholische Bildungswerk (Althofstraße 8) bietet am Montag, 3. Februar, 15 Uhr, einen Infonachmittag mit Berater Holger Förster zum Wohnungsangebot für ältere Menschen an. Anmeldung unter 0208/30 83 136 oder 85 996 37.
Auch Holger Förster von der Senioren- und Wohnberatung des Sozialamtes urteilt: „Wir haben definitiv zu wenig geeigneten Wohnraum. Und für Leute, mit wenig Geld wird es besonders schwierig.“ Der Stadt selbst kommen langsam die Räume abhanden, auf die sie zugreifen kann. Für geförderte Altenwohnungen aus den 1950er bis ‘90er Jahren läuft die Bindung aus. Förster: „Früher hatten wir Belegungsrechte für 60 bis 70 Adressen mit vier bis zehn Wohnungen. Jetzt können wir noch auf sechs Häuser mit 66 Wohnungen zurück greifen. Bis 2018 laufen aber auch diese Förderbindungen aus.“
Vermieter reagieren auf Bedarf
Udo Marchefka vom Nachbarschaftsverein Augustastraße in Styrum kennt das Problem aus dem Alltag: Senioren, die in ungeeigneten Wohnungen leben, die keine neue finden oder sie nicht bezahlen können. Seniorenbetreuung ist in den letzten Jahren ein wachsender Teil der Vereinsarbeit. Dabei helfen drei „Treppensteiger“, die vor ein paar Monaten dank einer Erbschaft über das Sozialamt angeschafft wurden. Sie helfen den Ehrenamtlichen, mit Senioren Treppenhürden zu überwinden, damit sie mal ‘rauskommen.
Dass es einen steigenden Bedarf gibt, zeigen umgekehrt die Bemühungen der Anbieter: Von den knapp 9000 Wohnungen der SWB (Service-Vermietungs- und -baugesellschaft) in Mülheim etwa sei mittlerweile jede achte seniorengerecht ausgebaut, knapp 700 sind sogar komplett barrierefrei, berichtet Prokurist Andreas Timmerkamp. Allerdings sind auch 30 % der Mieter über 65 Jahre alt. Darum werde bei Renovierungen jede Erdgeschosswohnung für Senioren umgebaut, bei Häusern mit Fahrstuhl auch alle im ersten Stock. Die Nachfrage ist ungebrochen. Timmerkamp: „Die Auslastung in diesem Segment ist gut.“ Die SWB-Wohnungen erfüllen den Anspruch des Mieterschutzbundes: Mit Wohnberechtigungsschein kostet die Miete im Schnitt 4,70, frei finanziert 5,40 €/m².
Die Stadt Mülheim in demografischen Zahlen
In ihrem Städtereport (2012) führt die comdirect Bank Mülheim als „zweitälteste Stadt Deutschlands“: 30,1 % der Einwohner – rund 50.000 – sind über 60 Jahre alt. Nur Chemnitz (33,7 % Ü60) ist noch älter. Beim Anteil der Jugendlichen (U18) belegt Mülheim mit 15,3% einen Mittelplatz unter 40 untersuchten Städten.
Forscher erwarten, dass der Anteil der über 80-Jährigen bis 2030 von 10.400 auf dann 13.600 steigt (plus 30%).