Mülheim. Die Grundmuster unserer Spielleidenschaft haben sich nicht verändert, sagt Carsten Widera-Trombach, der in der Mülheimer Games-Factory als Entwickler von Computerspielen ansässig ist. Ob klassisch oder modern, die Spielfreude bleibt gleich. Und für seine Branche sieht er goldene Zeiten anbrechen.
Spielen gehört zu den Feiertagen dazu. Denn spielen kann man gemeinsam. Bei „Mensch ärgere dich nicht“ können vom Großvater bis zum Enkelkind alle mitmachen. „Von 9 bis 99“ - in dieser Altersangabe, die man bei den Spiel-Klassikern noch findet, steckt die Sehnsucht nach wirklicher Weihnachtsharmonie: Alle sitzen um den Tisch herum und haben gemeinsam Freude.
Solche Spielfreude ist heute aber längst nicht mehr nur an Feiertagen zu haben. Es wird so viel gespielt wie noch nie, und das generationsübergreifend. Wenn die Straßenbahn Verspätung hat, dann holt der Bahnfahrer sein Smartphone hervor und spielt. In der Mittagspause im Betrieb dient längst nicht mehr nur der Kantinen-Plausch der Entspannung, stattdessen erholen sich immer mehr beim Zocken am PC. Und daheim sind, ob nun im Kinderzimmer oder via Tablet auf dem Wohnzimmertisch, Computer-Spiele sowieso schon lange Alltag. Ist das dann aber noch die gleiche Art von Spielfreude, die da erlebt wird?
"Für uns brechen goldene Zeiten an"
„Der Grundgedanke bei jedem Spiel ist: Man kann etwas ausprobieren, ohne dass dies Konsequenzen in der realen Welt ,“ sagt Carsten Widera-Trombach. In den Crenetic Studios, wo er Geschäftsführer ist, werden Computer-Spiele entwickelt, in den letzten zehn Jahren waren es rund 250 Stück. Für den 41-Jährigen besteht kein Zweifel: Spielen ist ein menschliches Urbedürfnis. Und dank des technischen Fortschritts können die Menschen diese Freude immer umfassender genießen. Denn zum einem haben sie immer mehr Zeit, zum anderen sind sie in ihrer Spielfreude an keine bestimmten Orte mehrgebunden - es gibt ja schließlich Smartphone und Co.
„Für uns brechen goldene Zeiten an“, ist sich Widera-Trombach sicher. Spielend verdient er sein Geld natürlich auch nicht, aber er hat eine positive Markt-Prognose: „Es sind noch nicht alle Zielgruppen ausgeschöpft. Dabei wird der Markt auch immer vielfältiger werden“. Die Gruppe, die besonders interessant ist, sind die sogenannten „Silver Gamer“, Menschen jenseits des 50. Geburtstages.
Für manche von ihnen mag, wie für die 59-jährige Kanzlerin, das Internet noch „Neuland“ sein, für einen beträchtlichen Teil nicht. „Meine Mutter“, sagt der Spiele-Fachmann, „wusste vor zehn Jahren noch nicht mal, wie man einen Computer anstellt. Heute bestreitet sie das Programm ihrer Sportgruppe mit Hilfe eines Games.“ Denn längst gibt es auch interaktive Spiele. Da bekommen eben auch Ältere Anregungen für Frühsport oder Aerobic - und vor allem: sie können es gemeinsam tun.
Das Angebot wächst ständig
„Es gibt auch viele Partyspiele. Die kann man auch mit der ganzen Familie gemeinsam machen“, sagt Widera-Trombach. Dass Computer-Spiele keine soziale Komponente hätten, ist für ihn schon lange ein Vorurteil: „Es wachsen jetzt, glaube ich, auch junge Familien heran, die einen neuen Zugang zu dieser Frage haben. Da haben die Eltern selbst ihre Erfahrungen schon gemacht.“ Da gebe es weniger Misstrauen.
Aber auch Ältere, eben die „Silver Gamers“, werden immer aufgeschlossener. Der 41-Jährige erzählt ein Beispiel: „Wir haben mal einen Telefonanruf bekommen. Am Apparat war eine 75-jährige Dame. Wir hatten damals ein Spiel auf dem Markt, bei dem man kleine Monster pflegen musste. Die mussten zum Beispiel regelmäßig gefüttert werden. Die Enkelin der Dame war in den Ferien auf den Ponyhof gefahren und hatte ihr nun den Auftrag erteilt, sich um das Monster zu kümmern. Nun war die Oma in Sorge, denn das Monster bewegte sich nicht mehr. Wir konnten sie aber beruhigen, es hatte nur geschlafen. Die Folge jedenfalls war, dass die Dame auf den Geschmack gekommen ist und selbst weiter gespielt hat.“ Das Angebot gerade für diese Altersgruppe wachse ständig: „Früher hat man sich ein Rätselheft gekauft - heute gibt es eine Sudoku-App.“
Aber dann gibt es noch die Gewalt-Debatte? Wie steht es mit Killer-Spielen - sind die nicht gefährlich? „ Die meisten Spiele lassen sich auf einen Kern zurückführen. Und dieser Kern ist meistens etwas, was wir alle noch von unseren Kinderspielen her kennen: Räuber und Gendarm zum Beispiel“, sagt Widera-Trombach Bei vielen Spielen, die als Killer-Spiel apostrophiert würden, stünde etwas ganz anderes im Mittelpunkt: eben das alte Räuber und Gendarm-Spiel. Jemand versucht einen anderen zu fangen: „Oder auch jagen und sammeln. Das sind ganz alte Grundmuster.“ Freilich müssten sie immer in eine bestimmte Welt versetzt werden.
Unzählige Kombinationsmöglichkeiten
Dass es in der abenteuerlich zugehe, wozu auch bestimmte Gewalt-Elemente gehören können, will Carsten Widera-Trombach zugestehen. Aber er ergänzt: „Das gab es auch, wenn ich als Kind in den Wald gegangen bin und dort mit meinen Freunden gespielt habe“. Aber für Jugendschutz ist er natürlich auch: „Wir haben in Deutschland eine gute Gesetzgebung. Die muss allerdings auch eingehalten werden. Die Eltern sind in der Verantwortung. Eine andere Frage ist die Suchtgefahr: Hier braucht man Regeln. Eltern sagen ja auch: ,Vorm Abendessen gibt es kein Stück-Schokolade mehr, weil sonst nicht der Wirsing aufgegessen wird.’ Diese Regeln müssen dann natürlich auch eingehalten werden.“
Solche Diskussionen ärgern Carsten Widera-Trombach deswegen, weil man in Deutschland ob der ganzen Aufregung einen Trend zu verschlafen droht, der in eine ganz andere Richtung geht: „Serious games“ heißt der in den USA - und es geht um Spiele, wo es nicht allein nur um reine Unterhaltung geht, sondern auch eben um einen seriösen Hintergrund: Das spektakulärste Beispiel hatte positive Folgen für die Gesundheitsforschung: „Es ging um ein Enzym, das in der Behandlung gegen Aids angewendet werden sollte.
Es gibt da aber unzählige Kombinationsmöglichkeiten mit anderen chemischen Stoffen. Welche Zusammensetzung ist die richtige? Aus dieser Frage haben die Game-Entwickler ein Spiel gemacht. Und den Spielern hat Spaß gemacht, an der Lösung dieses Rätsels zu arbeiten. In wenigen Wochen war sie da.“ Ob der Spiele-Markt in Deutschland in diese Richtung geht - Carsten Widera-Trombach will noch keine endgültige Prognose wagen. Er weiß nur: „Gespielt wird immer.“ Nicht nur zur Weihnachtszeit.