Der Wahl-O-Mat wirkt auf unterhaltsame Weise gegen Wahlmüdigkeit
Und plötzlich ist er Pirat. Der Wähler denkt, er sei Sozi, Schwarzer, Grüner oder liberal - und dann sowas. Es gibt keinen Automatismus mehr in der Präferenz für bestimmte Parteien - dafür aber den Wahl-o-Mat. Und genau diesen haben die zwei Herren via Smartphone gerade aufgerufen. Sie sitzen in der Kantine: 38 Thesen werden ihnen nun präsentiert. Stimmen sie zu oder nicht? Ein Klick ist die Antwort. Und am Ende kann man sehen, mit welcher Partei man am stärksten übereinstimmt.
So einfach, aber auch so überraschend. Denn am Ende dieser Szene steht ein Ergebnis, mit dem der Wahl-O-Mat-Nutzer nicht gerechnet hat: Er stimmt zu über 70 Prozent mit den Piraten überein. „Ich habe noch nie Interesse für diese Partei gezeigt“, sagt er seinem Freund. Der Frage folgt die Diskussion: Heute dauert die Mittagspause etwas länger.
Und damit tritt genau jener Effekt ein, auf den man gehofft hat, als der Wahl-O-Mat konzipiert worden ist. Die Menschen sprechen über Politik, setzten sich mit Themen auseinander. Aber eben nicht so, wie im Politikunterricht oder in einem Volkshochschulkurs, noch nicht einmal so, wie man es aus einer Fernseh-Talkshow kennt. „Der Wahl-O-Mat hat einen spielerischen Effekt“, betont Stefan Marschall, der als Politikprofessor an der Uni Düsseldorf dieses Angebot wissenschaftlich betreut. Zum Spiel gehört eben auch die Möglichkeit, dass der Nutzer überrascht wird. Dies kann dann allerdings auch verstörend wirken. Oder wie ist sonst zu erklären, dass kürzlich Bundeskanzlerin Angela Merkel auf die Frage, ob sie den Wahl-O-maten schon einmal benutzt habe, die Antwort verweigerte? Stand bei ihr vielleicht die CDU nicht an erster Stelle?
Solche Fragen sind es, die den Wahl-O-Maten attraktiv machen. Es kommt Spannung auf. „Und das ist unterhaltsam“, weiß Marschall. Die Menschen seien grundsätzlich an Politik interessiert - nur die Art und Weise wie öffentlich solche Themen aufgegriffen würden, sei für viele langweilig. Der Wahl-O-Mat zwingt zur Entscheidung: Es gibt nur schwarz, weiß oder egal zur Auswahl. „Es ist aber trotzdem politische Bildung - nur anders als gewohnt“, betont Marschall. Der Wahl-O-Mat gibt Orientierung - und schafft so Sicherheit über die eigene politische Grundhaltung.
„Es gibt schon seit vielen Jahren den Trend, dass die Parteibindungen lockerer werden“, so der Professor. Die Zeiten in denen der Partei-Platzhirsch am Ort auch den berühmten Besenstiel hatte aufstellen können und dieser auch gewählt wurde, sind vorbei. Damit ist aber auch Orientierung verloren gegangen - die Menschen fragen sich: Welche Grundhaltung habe ich eigentlich wirklich? „Die Gründe, warum jemand wie wählt, sind sehr komplex. Aber man kann schon sagen: die Werte, auf denen die politische Grundhaltung jeweils basiert, sind ein wichtiger Faktor“, so Marschall.
Und über die wird sich der Nutzer des Wahl-o-Mats klar. Die mangelnde Komplexität des Formats entpuppt sich als Vorteil. Er wird mit Thesen konfrontiert. „Es soll ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt werden“, heißt es dann etwa. Ja oder Nein lautet die Reaktion, und sie kommt aus dem Bauch, ist intuitiv, eben Ausdruck einer Grundhaltung.
Und die kann, wie in dem Beispiel aus der Kantine, ganz anders aussehen, als der Wähler denkt. In den meisten Fällen kommt allerdings bisher noch die Partei als Favorit heraus, mit der der Bürger gerechnet hat. „Es sind noch 90 Prozent“, sagt Marschall. Aber jedes Ergebnis schafft Gesprächsstoff. So kann Politik tatsächlich zur Unterhaltung beitragen. Kein schlechter Bildungseffekt. Zeit, um es auszuprobieren, besteht ja noch.