Mülheim. Die Kassen zahlen nur die Grunduntersuchung. Wer mehr wissen will muss das extra bezahlen. Der Arzt rechnet das privat ab. In einem Beispiel kostet die Untersuchung 150 Euro extra.

Vorsorge ist immer besser als eine spätere Reparatur. Dieser Grundsatz gilt bei Gebäuden und Fahrzeugen ebenso wie beim Menschen. Deshalb werben die Krankenkassen auch intensiv mit Prävention. Sie vergeben auch Bonuspunkte für Kurse, Sport im Verein, Verhaltensänderungen, die sich am Ende des Jahres mit einer bis zu dreistelligen Summe für die Versicherten auszahlen können. Das ist Marketing im Kampf um Marktanteile, so sieht das auch der Arzt Uwe Brock. Aber wie verhalten sich die Kassen bei der richtigen Vorbeugung? Wälzen sie Kosten auf die Patienten ab? Herz-Kreislauferkrankungen sind immer noch die wichtigste Todesursache. Könnte durch eine bessere Früherkennung dieser Erkrankung die Anzahl von Herz- oder Schlaganfällen gesenkt werden?

Nehmen wir ein Beispiel. Thorsten F., 48 Jahre, sportlicher Typ, raucht schon seit Jahren nicht mehr, trinkt in Maßen, versucht, sich halbwegs ausgewogen und bewusst zu ernähren, hat familiär keine Vorbelastung, aber er hat einen aufreibenden Job. In intensiven Belastungssituationen hat sich das Herz auch schon mal bemerkbar gemacht, was ihn jetzt aber auch nicht beunruhigt. Zehn Jahre lang war er nicht mehr bei seinem Hausarzt. Das ist gut fürs System, denn der Kasse entstanden keine Kosten, aber schlecht für den Arzt, denn er bekam keine Einnahmen. Thorsten F. denkt jetzt, mal wieder Zeit, sich auf Herz und Nieren durchchecken zu lassen. „Auch wenn Sie sich fit fühlen, sollten Sie den Check-up 35 alle zwei Jahre durchführen“, so wirbt auch die AOK, damit der Arzt mögliche Veränderungen im Körper frühzeitig erkennen kann. „Die Kasse übernimmt aber nicht mehr viel“, sagt sein Hausarzt gleich.

Kassen versprechen zu viel

Der 48-Jährige will aber sicher gehen, der Arzt holt einen Vordruck hervor, auf dem wie auf einer Einkaufsliste über 50 zusätzliche Leistungen inklusive Ziffer aus der Gebührenordnung aufgelistet sind. Nach der Beratung summieren sich die vom Patienten selbst zu tragenden Leistungen auf 150 Euro und 80 Cent. Darin enthalten sind ein Belastungs-EKG (34,68 Euro), ein Lungenfunktionstest (36,26 Euro) und ein Ultraschall des Herzens (40,80 Euro). Die Kassen versprechen zwar eine ausführliche körperliche Untersuchung. Gemeint ist aber nur ein Abhören mit dem Stethoskop, eine Blutdruckmessung, ein Test der Reflexe und das Abtasten des Bauchraumes. Außerdem umfasst der Check eine Untersuchung des Blutes auf Gesamtcholesterin und Glukose sowie eine Urinuntersuchung, um Hinweise auf Nierenerkrankungen und Diabetes zu erhalten.

Hätte der Patient über einen Druck im Brustraum oder Herzbeschwerden geklagt, hätte er nichts zahlen müssen. „Dann hätte es ja einen Befund gegeben, wäre es curativ gewesen“, sagt der Sprecher von der Techniker Kasse, Christian Elspas. Aber dann werden ja alle Hypochonder durch das System besser gestellt gegenüber Menschen, die ein erhöhter Pulsschlag nicht gleich in Panik versetzt. Möglicherweise war der Mediziner in diesem Moment gerade mehr Kaufmann, denn nicht alle medizinischen Leistungen sind auch sinnvoll. Aber was dem Patienten Sicherheit gibt, ist immer individuell verschieden, sagt auch Brock.

Leistungen nicht eindeutig definiert

Die medizinischen Leistungen, die die Krankenkassen tragen müssen, sind durch den Gesetzgeber nicht klar definiert. Der Paragraph 70 im Sozialgesetzbuch V umreißt aber Anforderungen: Die Leistungen müssen wirtschaftlich, ausreichend, zweckmäßig sein, sollen dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnis entsprechen und sollen vor allem auch das Maß des notwendigen nicht überschreiten. Diese ökonomischen Kriterien werden aber im zweiten Abschnitt, worauf der Mediziner Uwe Brock hinweist, durch eine andere Anforderung eingeschränkt: Dem Gebot zur Humanität. Was von der Kasse übernommen wird, entscheidet der gemeinsame Bundesausschuss, ein Selbstverwaltungsorgan, in dem die Kassen mit den medizinischen Leistungserbringern verhandeln.

Vor Jahren gehörte zum Leistungsumfang der Kassen beim Check-Up noch das Ruhe-EKG. Es wurde aus dem Katalog genommen, weil zu viele EKGs mit Normalbefund dabei herausgekommen sind.

Arztgespräch deckt bereits 90 Prozent der Probleme auf 

Brock drückt sich vor einer klaren Aussage, ob die Kostenübernahme von mehr Untersuchungen sinnvoll wäre. Er zumindest bietet Patienten noch etwas gratis an, eine individuelle Bewertung des Risikos, in den nächsten zehn Jahren einen Schlaganfall oder Herzinfarkt zu erleiden. Dies macht er mit Hilfe der frei zugänglichen Internetseite www.arriba-hausarzt.de. Hierzu sind allerdings einige Werte wie der Blutdruck oder der Cholesterinwert nötig. Dort finden sich als Beispiele auch Herr Süß und Frau Sorge. Die Frau lebt eigentlich gesund, hat aber einen zu hohen Cholesterinwert. Muss sie Tabletten nehmen, um ihr Risiko zu senken? Nein, rät das System. Ihr Risiko liege bei unter drei und würde bei einer Behandlung auf zwei zurück gehen. Arriba gibt, aufbauend aus Erfahrungen aus Studien, auch Auskunft darüber, wie Verhaltensänderungen das Risiko verändern. Thorsten F. müsste sich demnach gar keine Sorgen machen.

Die Kassen müssten ein Interesse daran haben, dass Krankheiten möglichst frühzeitig entdeckt werden. „Das wichtigste ist das ausführliche Arztgespräch. 90 Prozent der Probleme werden hier schon klar“, sagt Roland Angenvoort, Leiter der AOK vor Ort.

Check-up 35 ist wichtig

Aber auch er weiß. Verhalten ändern die Menschen nur sehr schwer. „Da muss leider schon oft der erste Stent gesetzt worden sein“, bedauert er. Aber je intensiver man schaue, desto größer sei auch die Möglichkeit, auf etwas zu stoßen, was gar keine Bedeutung habe, den Patienten aber verunsichere.

Einige Igel-Leistungen (individuelle Gesundheitsleistungen, die der Patient selbst zahlt) sind sinnvoll. Schlägt sie ein Arzt vor, sollte man ihn auf jeden Fall über den damit verbundenen Erkenntnisgewinn und mögliche Nebenwirkungen befragen. Informationen zu zahlreichen dieser Angebote, wie etwa dem Aussagewert eines großen Blutbildes, sind auf der Internetseite der AOK (leider sehr versteckt) abrufbar. AOK-Versicherte, so rät Angenvoort, sollten in diesen Fällen auch die kostenlose, rund um die Uhr mit einem Mediziner besetzte Hotline nutzen (Clarimedis: 0800 1 265 265). Diagnosen können sie zwar keine stellen, aber doch einiges einschätzen. Der Check-up 35 sei schon wichtig und aussagekräftig, findet Angenvoort, deshalb erinnere die AOK ihre Mitglieder alle zwei Jahre per Mail oder SMS, ihren Arzt aufzusuchen.