Mülheim. Längere Weihnachtsmärkte und Lebkuchen im September: Geht es nach den kommerziellen Interessen, kommen wir mit 24 Adventstürchen bald nicht mehr aus.

Betritt man den seit voriger Woche in der Mülheimer Innenstadt geöffneten Laden „Lebkuchen Schmidt“, so passiert es binnen weniger Sekunden - es wird Weihnachten, zumindest gefühlt. Der wohlbekannte Duft von Lebkuchen steigt jedem in die Nase, der auch nur die Tür öffnet, Spekulatius, Baumkuchen und Schwarz-Weiß-Gebäck schmiegen sich aneinander, wohin das Auge auch sieht.

„Weihnachtszeit ist Lebkuchenzeit!“ Das findet Verkäuferin Susanna Uessem. So sehen das sicher viele. Aber beginnt mit der Lebkuchenzeit auch die Weihnachtszeit? Wann öffnet sich gewissermaßen das erste Türchen des Adventskalenders? Am ersten Dezember? Oder doch schon: jetzt?

In Kürze öffnet beispielsweise der Oberhausener Weihnachtsmarkt in der Neuen Mitte. Schon seit September gehören weihnachtliche Süßigkeiten wieder zum Sortiment der großen Lebensmittelketten. Und auch Unternehmen beginnen schon mit den ersten Weihnachtsfeiern.

Zwischen Freibad und Zitronat

Dabei ist der letzte Freibadbesuch noch gar nicht so lang her. Temperaturen über 30 Grad machten die erste Septemberwoche zu einem deutschen Spätsommer, der sich sehen lassen konnte. Und dennoch ist sich Einzelhändler Heinz Wilhelm Paschmann (Edeka) sicher: „Der Kunde kauft, weil er es gewohnt ist und deshalb auch erwartet.“ Paschmann räumt zwar ein, dass winterliche Kälte und Anlässe, wie etwa der Nikolaustag den Ansturm auf die weihnachtlichen Köstlichkeiten noch einmal steigern. Er weiß aber, dass diese Köstlichkeiten auch schon Ende September gefragt sind.

Die Weihnachtssaison des Einzelhandels startet also schon Ende September und dauert bis... ja bis wann eigentlich? Bis die österlichen Naschereien die weihnachtlichen ablösen?

Michael Clemens, katholischer Pastor der Eppinghofer Gemeinde St. Engelbert, meint: „Die Welt ist bekloppt geworden! Für mich und unsere Kirche beginnt die Vorweihnachtszeit selbstverständlich mit dem 1. Advent. Nicht früher und nicht später. Die Kirche muss im Gegensatz zum Einzelhandel damit eben auch kein Geld verdienen.“ Nur weil die Konzerne aber ein Überangebot an saisonalen Produkten verkaufen, heiße das nicht, ergänzt Clemens, dass die Menschen den eigentlichen Sinn gänzlich vergessen hätten. Denn am Heiligen Abend sei seine Kirche stets gut gefüllt.

Adventsmarkt öffnet am 29. November 

Dass das Überangebot zur Weihnachtszeit von vielen gar nicht begrüßt wird, weiß auch Rolf Schulze vom Verein Pro Altstadt. „Menschen haben ein Gespür dafür, wann für sie Weihnachten ist.“, sagt er und begründet damit zugleich die Öffnungszeiten des Adventsmarktes in der Altstadt. Dieser öffnet seine Häuschen nämlich seit 14 Jahren immer am Freitag vor dem 1. Advent, in diesem Jahr also am 29. November. Diesmal gäbe es zwar eine Premiere, denn geschlossen werde der Markt, auf Anfrage der ortsansässigen Gastronomie und der Aussteller, erst am 4. Advent. Den Markt aber länger als die Weihnachtsfeiertage geöffnet zu lassen, wie es jetzt in Duisburg vorgesehen ist, käme für ihn nicht in Frage. Pastor Clemens und Schulze sind sich einig, dass man lieber von Advents- als von Weihnachtsmärkten sprechen sollte.

Heike Blaeser-Metzger von der Mülheimer Stadtmarketing und Tourismus GmbH, die den Weihnachtsmarkt auf der Schloßstraße veranstaltet, lässt dessen Ausstellern die Option offen, länger als bis zum eigentlichen Weihnachtsfest zu bleiben. Nachfrage sei auch danach noch vorhanden.

Besinnung mit Ansage

Wie aber fühlen sich die Mülheimer „Nachfrager“ zwischen all den Lebkuchenmauern und sinnlichen Adventssonntagen wirklich? Für Gabriele Knödel und ihren Sohn Fabian beginnt die Vorweihnachtszeit traditionell am ersten Adventssonntag. „Vorher wollen wir nichts von Spekulatius und Weihnachtsmarkt wissen. Da die Weihnachtszeit, kirchlich gesehen, erst am 6. Januar, mit den Heiligen Drei Königen endet, ist ein Gang auf den Weihnachtsmarkt auch nach dem eigentlichen Fest durchaus interessant. Aber nur bis zum 30. Dezember!“ Irgendwann reiche es schließlich mit all der Besinnlichkeit.

Viel pragmatischer sieht das der Mülheimer Jan Schmidt. Der 15. November sei für den Weihnachtsmarkt an sich zwar viel zu früh, für einen leckeren Glühwein aber nicht. Günther Bujok ist da etwas anderer Meinung. Wehmütig erinnert er sich an seine Kindheit: „Bei uns fing die Vorweihnachtszeit zwei, drei Wochen vor dem Heiligen Abend an. Wir hatten noch echte Vorfreude.“ Dass es auf Weihnachten zugeht, merkt Bujok heute daran, dass „der Stromzähler auf Hochtouren läuft.“

Es muss am Ende wohl jeder für sich selbst entscheiden, woran er sich in der Vorweihnachtszeit orientiert: am Kirchenkalender, an den Türchen seines Adventskalenders, am Stromzähler, an den ersten Naschereien oder an der Öffnung des ersten oder der Schließung des letzten Weihnachtsmarktes. Sicher ist nur eines: Der offizielle Adventskalender hat nur 24 Türchen.