Mülheim.
Mülheimer Vereine klagen über einen Rückgang des ehrenamtlichen Engagements – besonders auf der Führungsebene. Vor allem Übungsleiter, die Verantwortung übernehmen und Fortbildungen absolvieren oder auch Vorstandsmitglieder sind immer schwerer zu finden.
Schüler, Studenten und auch Berufstätige stehen zunehmend unter zeitlichem Druck. Die Schule dauert oft bis spätnachmittags, da wird die Zeit knapp für die Leitung eines Sportkurses oder die Betreuung einer Jugendgruppe im Viertel. Der studentische Stundenplan ist von morgens bis abends durchgetaktet, so dass ehrenamtliches Engagement auf die Abendstunden oder das Wochenende beschränkt bleiben muss. Auch Berufstätige sind heute oft über die Maßen in ihren Job eingebunden.
„Tatsächlich verlagert sich das ehrenamtliche Engagement zunehmend auf das nachberufliche Alter“, erklärt Michael Schüring, Geschäftsführer des Centrums für bürgerschaftliches Engagement (CBE) in Mülheim. Zwar engagiere sich rund ein Drittel der Bevölkerung weiterhin, bei Jugendlichen werden es tendenziell weniger, so Schüring. „Das Interesse ist nicht geringer geworden, es gibt für jüngere Menschen nur weniger Zeitfenster, denn ihre Interessen sind vielschichtiger als früher.“
Probleme bei Besetzung der Vorstände
Bereits vor zwei Jahren habe man bei den Mülheimer Vereinen eine Untersuchung mit dem Titel „Engagement braucht Leadership - Unterstützungsmaßnahmen für ehrenamtliche Vorstände“ durchgeführt, die durch die Robert-Bosch-Stiftung gefördert wurde. Das Ergebnis: Mehr als 60 Prozent der Mülheimer Vereine haben Probleme, ihre Vorstände, vor allem die Vorstandsposition, zu besetzen.
„Uns war nicht klar, dass es in diesem Bereich solche Schwierigkeiten gibt“, sagt der CBE-Geschäftsführer. Die Umfrage habe auch ergeben, dass die wichtigsten Motivationsargumente für das Ehrenamt seien: „Es macht Spaß“ und „Ich arbeite gerne mit Menschen zusammen“.
Man versuche aktuell, für das kommende Jahr ein Projekt mit dem Mülheimer Sportbund (MSB) zu konzipieren: „Vereine sollen ihre eigenen Ziele entwickeln“, so Schüring. Es gebe ein Umdenken: Das Engagement müsse vor allem zeitlich machbar und attraktiv sein. Da solle man schon mal überlegen, ob Ämter aufgeteilt würden oder jemand, der eine besondere Affinität zu Zahlen habe, die Kassenwart-Funktion für mehrere Vereine übernehme.
Das CBE bietet mit dem „Kulturbotschafter“-Projekt jungen Ehrenamtlern die Möglichkeit, andere Jugendliche für Kultur zu begeistern. Auch innovative Ansätze zur flexiblen Organisation und Kommunikation für junge Menschen auf dem Weg zum Studium und zum Beruf, zum Beispiel über soziale Netzwerke, werden Jugendlichen gerne angenommen. So könne man Präsenzzeiten reduzieren.
Vorstände überaltern
Prof. Dr. Werner Giesen, erster Vorsitzender des Mülheimer Sportbunds (MSB), beklagt eine Überalterung der Vorstände von Sportvereinen. „Alle haben einen Riesenkampf, aufzuhören oder jemanden Neues zu finden.“ So gebe es viele Vereinsvorstände, die ihren Posten schon seit zwölf oder 15 Jahren ausübten.
Die Beschäftigungen und Lebensmittelpunkte der Menschen würden immer vielfältiger, nach dem Motto: „Ich will springen, reiten, laufen – aber zur Organisation habe ich keine Lust.“ Prof. Giesen erklärt: „Wir versuchen als MSB, den Ehrenamtlern Anreize und Hilfen durch regelmäßige Veranstaltungen und Vorträge zu geben, ihnen die Angst vor Verantwortung und Haftung zu nehmen.“
Auch fürchteten viele die gestiegene Bürokratisierung. Die sei aber nicht so schlimm, meint Giesen. Es gebe Versicherungen und Steuertipps. Verwaltungsaufgaben könne man zentralisieren. In Mülheim geschehe einiges, um das Ehrenamt zu fördern, wie zum Beispiel durch die Ehrenamtskarte, die das CBE ausgibt, oder die Medl-Nacht der Sieger. „Wir versuchen Hilfen zu geben, wo es möglich ist!“