Mülheim. Die Kneipenszene zeichnet sich dadurch aus, keine Szene zu sein. Warum das so ist und was sich ändern könnte - darum ging es bei einer Kneipentour mit Studenten zum Semsterstart
In der Wirtschaft geht es um Angebot und Nachfrage. In diesem Fall ist es wortwörtlich gemeint: Auch der Umsatz an der Kneipen-Theke folgt diesem ökonomischen Gesetz. Wie es aber konkret in Kraft tritt, das ist von Ort zur Ort unterschiedlich. Der beste Beweis: das Mülheimer Nachtleben.
Die Lage
Zunächst einmal der Ist-Zustand, also zum Angebot: Unter der Woche wird es schwierig, nach 22 Uhr in der Innenstadt auf eine offene Kneipe zu treffen. Und wenn sie tatsächlich noch nicht geschlossen ist, stehen nur wenige Leute an der Theke. Kurz: die Nachfrage ist auch nicht besonders groß. Jeder Wirt muss rechnen.
Die Investitionen, die er in Personal, aber auch Nebenkosten wie Heizung oder Strom tätigt, müssen sich erstmal rentieren. Die Konsequenz: zu später Stunde wird dicht gemacht. Das Angebot wird also noch geringer. Ein Teufelskreis setzt sich in Gang. Welche Auswirkungen der hat, kann man ohne Probleme an einem beliebigen Abend in der City studieren. Ein Ausweg kann nur darin bestehen, neue Anreize zu schaffen, damit die Nachfrage steigt. Aber wer unter den Wirten hat den Mut dazu? Eine Möglichkeit wäre, neue Gäste zu erschließen. Ein mögliches Wunschprofil: Jung, kommunikativ und feierfreudig. Man könnte auch sagen: Studenten.
Die Studenten
„Ist das ein Junggesellen-Abschied?“ Man sieht es dem Passanten an - so viele junge Leute in der Innenstadt, er kann es sich nicht erklären. In der Tat, dieser Freitagabend ist eine Ausnahme. Er soll aber eigentlich keine bleiben. Der Asta der Hochschule Ruhr-West hat zur Kneipentour in die City eingeladen. 80 Leute sind zusammengekommen - Erstsemester. Manche kommen aus Mülheim oder der Region, immer mehr von ihnen aber auch von außerhalb. Was sie aber eint ist die Neugierde. Der Großteil hat noch keine Vorurteile, sondern will sich überraschen lassen. Entsprechend ausgelassen ist die Stimmung. Mehrere Kneipen stehen auf dem Programm: die Rathsstuben, die Walliser Stuben, das KöPi auf der Friedrichstraße oder auch die Mausefalle gehören dazu. Die Studenten haben sich in vier Gruppen aufgeteilt.
Eine von ihnen macht gerade Station schräg gegenüber vom Rathaus - für ein Spiel. Die Studenten müssen mit kleinen Säckchen auf ein Ziel werfen. Und ein Hindernis-Parcours muss auch überwunden werden, getrunken wird natürlich auch. Das Ganze erinnert tatsächlich ein wenig an Aktivitäten, wie man sie bei einem Junggesellen-Abschied erleben kann. Aber die gut 20 jungen Männer und Frauen, die hier zusammen stehen, haben Spaß, sie lachen und stoßen miteinander an. Sie amüsieren sich. Und zu diesem Amüsement gehört heute eben zumindest bei jungen Leuten auch ein gewisser Event-Charakter. Die Theke allein reicht nicht - es muss noch etwas zusätzlich geboten werden.
„Mit speziellen Aktionen kann man Studenten in die Stadt locken“, ist Luca Restaino überzeugt. Der 25-jährige Student gehört zu den Mitorganisatoren der Tour. Er war auch schon dabei, als die Studenten beim letzten Mal loszogen. „Damals waren die Leute begeistert. Sowohl die, die fürs Studium hierher gezogen sind, als auch die, die aus der Stadt kommen, fanden die Aktion sinnvoll.“ Restaino steht vor den Walliser Stuben am Löhberg, um ihn herum einige andere Raucher. Zwei junge Männer bestätigen ihn: „Wir sind aus der Stadt. Wir sind schon als Schüler öfter in den Kneipen hier gewesen. Aber es hat uns nicht richtig überzeugt. Wir hätten aber schon Interesse.“
Einer, der auch Interesse hatte, ist Simon Lüke. Der 22-jährige Maschinenbau-Student steht an der Theke der Mausefalle, einer anderen Tour-Station. Er war schon im letzten Jahr dabei, damals noch relativ frisch in der Stadt, inzwischen im fünften Semester. „Ich bin aus einem kleinen Dorf in Münsterland. Für mich ist Mülheim schon reizvoll.“ Insofern sei auch die Kneipenszene hier für ihn spannend gewesen. Nach der Tour sei noch er mal ab und zu da gewesen, schließlich hätten sich die Ausgehgewohnheiten aber in eine andere Richtung entwickelt: „Jetzt fahren wir am Wochenende meistens nach Düsseldorf oder ins Bermuda Dreieck in Bochum.“ Muss sich dieser Effekt bei der nächsten Generation wiederholen?
Die Gastronomen
„Es kommt auf die Kreativität der Wirte an“, sagt Jonas Wanke von der Mölmsch Brauerei. Seine Brauerei hat die Veranstaltung mit dem Asta zusammen organisiert. Es ist nicht die erste Kooperation. Er weiß daher: „Die Studenten wollen feiern. Sie suchen vor allem auch einen Ort, an dem sie zusammenkommen können. So etwas wie ein Wohnzimmer.“ Und so was sollte auch durchaus lokal angesiedelt sein.
Davon, dass junge Leute auf regionale Marken ansprechen, geht Wanke aus. Sonst würde er wohl kaum für sein Produkt - der Name ist Programm - unter ihnen werben. „Im Moment gibt es aber so eine regionale Szene noch nicht. Und ich bin noch etwas skeptisch, ob es klappt. Aber ich glaube, die große Chance kommt, wenn die Hochschule endlich einen zentralen Standort hat. Dann können die Wirte gezielter werben.“ Dazu müssten sie aber auch den Mut haben - und eben die Kreativität.
Wie etwa Hendrik Peek, der Wirt von der Mausefalle. Seine Lehre aus der Kneipentour: „Wir werden unseren Gewölbekeller öfter öffnen. In den alten Gemäuern gibt es ein besonderes Ambiente.“ Vielleicht ist das ein Angebot, das bei Studenten auf Nachfrage stößt.