Mülheim.

Viele Kritiker hätten auf sie wohl keinen Cent gewettet, und vermutlich selbst einige ihrer Befürworter nicht. Und doch gibt es die Mülheimer Montagsdemonstranten noch immer. Gestern feierten die hartnäckigen Protestler auf dem Kurt-Schumacher-Platz ihr neunjähriges Bestehen.

Dazu gibt es selbstgebackenen Kuchen, Kaffee – und viele Glückwünsche aus der Nachbarstadt Oberhausen und aus Gelsenkirchen. „Ich ziehe meinen Hut“, sagt Carmen Matuzewski von der Fraktions „Wir-Linke“ anerkennend. Was es angesichts der oftmals kritisierten sozialen Ungerechtigkeiten durch die Hartz-IV-Gesetze zu feiern gibt? „Unsere Beharrlichkeit, konsequent unsere Stimme gegen das Armutsgesetz zu erheben“, führt Sabine Schweizerhof an, die die Montagsdemo von der ersten Stunde an mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann Gerhard unterstützte und organisierte.

Sprechen gegen das Herzklopfen

Dieser kontinuierliche Protest sucht wohl seinesgleichen – zumindest in Deutschland. Doch es gibt für viele von ihnen auch persönliche Erfolge. „Viele Mitstreiter haben hier erst gelernt, sich laut am Mikrofon zu äußern, auch wenn sie Herzklopfen hatten“, sagt Schweizerhof.

Auch dies hat das Selbstbewusstsein der Betroffenen gestärkt. „Das ist wichtig, denn häufig führt Hartz-IV in die Entmündigung, in die Isolation und Depression“, betont Hans Rommel, ebenfalls Demonstrant der ersten Stunde und Gewerkschaftler.

Nicht immer ist die offene Solidarität so groß wie am gestrigen Montag, als über 40 Menschen im Kreis zusammenstehen. Anfangs – vor neun Jahren – waren es einige hundert. An manchen Montagen sind es inzwischen nur eine handvoll. Häufig aber stehen nicht wenige Menschen versteckt und mit vorsichtigem Abstand um die Demonstranten herum und hören zu. Mit der Faust in der Tasche oder mit Kopfschütteln. So auch an diesem Montag. Man spürt: Hartz-IV macht Angst wie eine ansteckende Krankheit.

Bankenkrise und andere GAU

Doch die Montagsdemo darauf zu beschränken wäre falsch: Aus Protest wurde Aufklärung, wurde Solidarität. „Wir sind ein Katalysator“, glaubt Hans Rommel. Erst vor einigen Monaten zeigten die Mitstreiter auf dem Kurt-Schumacher-Platz den symbolischen Schulterschluss mit den türkischen Demonstranten in Istanbul. Sie sprachen über Bankenkrise, Opel und arme Griechen. Sie bekundeten ihr Mitgefühl für die Opfer des norwegischen Massenmörders Anders Behring Breivik. Sie thematisierten sogar Umweltkatastrophen wie 2011 in Fukushima.

Auch an diesem Montag geht es um mehr: Das Geld für Kuchenstücke wandert zur Hälfte in die Streikkasse der Opelaner, der zweite Teil wird in eine Busfahrt zur Demo in Berlin gesteckt, damit es sich jeder leisten kann, dort im Herbst Gesicht zeigen zu können. „Das ist unsere Stärke“, meint Sabine Schweizerhof, „dass wir uns solidarisieren können mit Rentnern, Arbeitern und Arbeitslosen...“