Selbeck.

Einen Glockenturm gibt es am Birkenhof nicht. Mit Rasseln, Klanghölzern und Schellenringen läuten rund 35 Menschen die Morgen-Andacht in der Tagesbetreuung für schwerstbehinderte Menschen der Fliedner-Stiftung ein.

In der Mitte des Mehrzweckraumes, der auch als Gymnastikraum genutzt wird, steht ein einfacher Tisch, darauf ein Kreuz – und vier Kerzen. Vier Besucher, die die Lichter anzünden möchten, sind schnell gefunden. „Die steht für Gott“, sagt die erste Assistentin. Die zweite Kerze soll für einen kranken Mitbewohner brennen, die dritte für die Betreuer. Und die vierte? „Ist für die Zeitungsleute“, sagt Margit, eine Teilnehmerin, lächelnd. Wie nett!

Was geht und was nicht geht

Birgit Meinert-Tack, Pfarrerin in der Fliedner-Gemeinde, läuft unablässig durch den Raum, während sie spricht, singt und betet. Wer unruhig ist, wird persönlich angesprochen und eingebunden oder auch an die Hand genommen und zum Tanz aufgefordert. Aufstehen und herumlaufen ist bei dieser Andacht ohnehin erlaubt. Denn: Vielen Besuchern fällt es schwer, ruhig sitzen zu bleiben und nur zuzuhören. „Von den Betreuern hier im Birkenhof erfahre ich, was für den Einzelnen geht und was nicht. Wichtig ist auch, dass die Mitarbeiter bei der Andacht als ruhende Pole dabei sind“, sagt die Pastorin.

Über die Musik lässt sich die Aufmerksamkeit der kleinen munteren Gemeinde vielleicht am ehesten gewinnen. „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen. . .“, stimmt Meinert-Tack an. Fast alle singen mit, einige tanzen. „Gott ist jetzt bei uns“, sagt die Pfarrerin und fordert die Besucher auf, die Hände zu falten. „Das hilft, zur Ruhe zu kommen und in sich hineinzuhören.“ Und tatsächlich: Es wird leise im Raum beim folgenden Gebet.

Eine Botschaft von Mandela

Der Wortbeitrag gilt heute Birkenhof-Mitarbeiter Norbert, der 60 Jahre geworden ist (aber verschmitzt angibt, erst 49 zu sein). „Der Norbert ist unser Dorfmaler“, wirft jemand in die Runde. Der Betreuer kann nämlich richtig gut malen. Dann leitet die Pfarrerin zu einem anderen Geburtstag über - zum 95. von Nelson Mandela. Mit einfachen Worten erzählt sie seine Geschichte. Nicht alles ist wohl für alle Besucher verständlich, aber einige sind interessiert. „Keiner hat das Recht zu sagen: Du bist nichts wert!“ - das sei, so Meinert-Tack, eine Botschaft von Mandela, eine andere: „Gott hat alle Menschen gleich lieb!“

An ein afrikanisches Lied schließt sich das Vater Unser an. Jetzt sprechen fast alle mit. Was fehlt noch? „Der Segen Gottes“, weiß Werner. Nachdem dieser gesprochen ist, wird zum Abschied erneut getanzt. Manuela, eine weitere Besucherin, lächelt, sie liebt das Tanzen. „Wenn ich ihre strahlenden Augen sehe“, sagt Pfarrerin Birgit Meinert-Tack, „weiß ich, dass sie Freude hat und dass sich meine Arbeit hier vor Ort lohnt.“

Die kleinste Gemeinde

Die Fliedner-Gemeinde ist die kleinste Gemeinde im Ev. Kirchenkreis an der Ruhr. Birgit Meinert-Tack und Achijah Zorn teilen sich dort die einzige Pfarrstelle. Sie betreuen das Fliedner-Dorf, aber unterstützt von zwei Mitarbeitern auch eine Seniorenwohnanlage in Duisburg-Großenbaum und das Fliedner-Krankenhaus in Ratingen. Deren Träger ist ebenfalls die evangelische Theodor Fliedner-Stiftung.

In der Kirche im Fliedner-Dorf finden Sonntags-Gottesdienste und Trauerfeiern und sogar Kindergottesdienste und Konfirmationen statt (für die Kinder von Mitarbeitern, die im Dorf leben). „Die Menschen in unserer Gemeinde kommen aus allen Ecken des Dorfes – aus dem heilpädagogischen Bereich für behinderte Menschen und dem Bereich Wohnen im Alter, aber auch aus den - vorwiegend an Mitarbeiter - frei vermieteten Wohnungen“, berichtet Meinert-Tack.

Vieles, was in der Gemeinde läuft, ist mit der Fliedner-Stiftung vernetzt darunter die projektbezogenen Aktivitäten wie Feste, Kunstaktionen, Ausstellungen. Eng verbunden sei man aber auch mit der katholischen Kirche. Pater Franz-Josef, der St. Theresia in Selbeck betreut, kommt immer donnerstags zur Wochenandacht vorbei. „Wir funktionieren eigentlich ohnehin ökumenisch. Ein Großteil der ehrenamtlich Aktiven in der Gemeinde ist sogar katholisch. Es gibt auch Menschen mit neuapostolischem Glauben im Dorf“, so die Pfarrerin.

Ohne eigene Immobilien

Die Fliedner-Gemeinde ist eine Gemeinde ohne eigene Immobilien. Man nutzt Gebäude und Räume der Stiftung, braucht daher auch keinen Küster. Die kleine Kirche wurde ohnehin als Mehrzweckraum konzipiert, hier finden z.B. auch Yoga-Kurse statt. Das Bistro gegenüber wird sonntags nach dem Gottesdienst zum Kirchencafé.