Wie viel Schrumpfung hält Kirche eigentlich noch aus? Wie groß können Gemeinden noch werden, wenn demnächst noch weniger Priester zur Verfügung stehen? „Wir müssen uns einstellen auf einen großen Unsicherheitsfaktor“, sagt Bischof Franz-Josef Overbeck und betont zugleich: „Wir brauchen eine Haltungsänderung.“ Wer glaube, das halten zu können, was es früher einmal gab, liege falsch. Entscheidend werde es aus seiner Sicht sein, dass Kirche weiterhin Nähe zu den Menschen schaffe – nicht durch Gebäude, sondern durch Personen und Themen, die die Menschen im Alltag bewegen.
Der Wandel
Die Nähe von Kirche werden längst nicht mehr nur Priester oder Diakone herstellen können. Nur noch 56 Priester unter 65 Jahren wird es in 15 Jahren im Bistum geben. Nähe, das kann und soll von der Kindergärtnerin ebenso ausgehen wie von der Grundschullehrerin, einer katholischen Einrichtung oder einer Jugendreferentin. Für Kirchennähe können Menschen stehen, die bereit sind, sich für einige Jahre in Kirche und Gemeinden zu engagieren. Einmal für die Kirche im Einsatz, immer für die Kirche – auch von dieser Haltung nimmt der Bischof Abschied. Zwei Stunden lang diskutierte er vor gut 300 Besuchern in der Akademie „Die Wolfsburg“ mit Experten über die Frage: Wie ist die Zukunft unserer Gemeinden?
Der Bischof
43 Pfarrgemeinden gibt es noch im Bistum von einst weit über 200. Kirche muss nah, wirksam, mitten im Leben stehen, sagt der Bischof zum Zukunftsbild. Er fordert eine charismatischere Kirche, eine selbstkritische: „Sind die Kirchen noch so attraktiv, dass man gerne dahin geht? Wird der Gottesdienst so gefeiert, dass die Menschen ihm gerne beiwohnen? Für Overbeck ist es ein Alarmsignal, wenn viele Menschen die Symbolik von Kirche gar nicht verstehen und sich auch daher abwenden. Und wie sieht es mit der Solidarität aus? Das Alleinsein vieler Menschen ist für den Bischof ein Zeichen dafür, dass Solidarität zu steigern ist.
Der Sozialraumforscher
Wie hat Kirche Zukunft? Auch für den Sozialraumforscher Prof. Wolfgang Hinte hängt die Zukunft nicht an irgendwelchen Immobilien. Kirche braucht aus seiner Sicht Gemeinschaft, in der Individualität gelebt werden kann, in der es Pluralität gibt, ohne in die Beliebigkeit abzudriften. Hinte fordert eine Kirche der Dialoge, die Brücken baut zwischen Welten -- auch in einer Stadt, in einer Region, wo jeder bereit ist, aus diesen Dialogen zu lernen.
Die Jugendreferentin
Kirche brauche neue Angebote, sagt die Jugendreferentin Stefanie Gruner von der Jugendkirche Gleis X. Sie spricht von Ergänzungsangeboten. Aus ihrer Sicht ist die Jugend für Kirche keineswegs verloren: Die Jugend möge sonntags nicht in der Kirche anzutreffen sein, sie interessiere sich aber für Kirche, sie sei in Gemeinden zu Hause und durchaus auch aktiv. Stefanie Gruner fordert: „Kirche muss klare Position beziehen und dabei deutlich machen, wie wertvoll es sein kann, Christ zu sein.“ Die Kirche von morgen muss und kann sehr niederschwellig sein, wie die Religionspädagogin Sabine Lethen vom Kita-Zweckverband aus dem Alltag berichtet: Längst hätten sie in den katholischen Kitas mit Eltern zu tun, die mit Kirche eigentlich wenig oder nichts am Hut hätten. Aber auch diese Eltern stellten Fragen, denen sich auch Kirche stelle, Fragen, wie sie sonst nur in den Kirchengemeinden gestellt würden.
Was wird aus Kirche? „Das Sichere“ sei der Versuch, sagt der Bischof. Der Versuch und der Mut, Kirche zu verändern. Was bleibe, sei die frohe Botschaft, der Anspruch, Glauben sichtbar zu leben und Verantwortung zu übernehmen. Der neue Papst macht ihnen dabei Mut.