Mülheim. Lebensmittel, Hundefutter oder auch mal Schnittblumen - jeden Tag versorgen die Mitarbeiter der Mülheimer Tafel bis zu 250 Bedürftige. Kommen kann jeder, es wird nicht kontrolliert, wie bedürftig jemand ist. Das öffentliche Anstehen in der Schlange erfordert für viele genug Überwindung.
Heute gibt es reichlich Erdbeeren: Gleich kistenweise tragen die Mitarbeiter der Mülheimer Tafel die verderblichen Früchte in den gekühlten Kleintransporter. Seit kurz nach sieben sind Bärbel Hahn (50) und Jörg Oswald (41) unterwegs auf ihrer täglichen Tour durch die Stadt, um Lebensmittelspenden abzuholen, die die Tafel später an der Georgstraße 28 verteilen wird.
Viele Filialen von Discountern und Supermärkten werden abgefahren, aber auch etliche kleinere Geschäfte und Bäckereien liegen auf ihrer Tour. Obst, Gemüse, Kartoffeln, Salate, Backwaren, Gutes von gestern, verbeulte Konserven mit einwandfreiem Inhalt – der Wagen füllt sich langsam, aber stetig.
Manchmal gibt es auch Schnittblumen
Da, wo Lkw Frischware anliefern, stehen meist schon die Kisten für die Tafel parat. Mal ist es nur eine, mal ein ganzer Stapel – ganz leer gehen die Tafel-Mitarbeiter nie aus. Vor und nach den Wochenenden haben die Tafelfahrer immer am meisten zu tun. Ein Scherz und tschüss bis morgen, man sieht sich, währenddessen sortiert Bärbel Hahn schnell noch welken Salat, einen angestoßenen Apfel aus, holt die „guten“ Paprika aus einer Folie und reicht ihrem Beifahrer die Kisten mit den gespendeten Lebensmitteln an.
Das geht ruckzuck an der Rampe: Schließlich müssen die beiden täglich 26 Läden besuchen. Die Tour geht über die Innenstadt nach Saarn, Kettwig, Holthausen, Dümpten, ein kurzer Abstecher nach Oberhausen und zurück zur Georgstraße, wo Kollegen die Lebensmittel später in die Regale räumen. Zeitgleich fährt ein größerer Lkw für die Mülheimer Tafel eine andere Sammelstrecke ab.
An Brot ist kein Mangel, auch frisches Obst und Gemüse ist heute reichlich im Wagen. Wurst, Käse – abgepackte Ware – kommt nur vereinzelt vor. Auch Milchprodukte spendet der Einzelhandel eher selten, wissen die Tafelmitarbeiter. Ware mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum wird gar nicht mitgenommen – „das darf die Tafel nicht ausgeben“ – Schnittblumen hingegen schon.
„Die kann man zwar nicht essen, aber die Leute freuen sich“, weiß Bärbel Hahn, die seit vier Jahren den Sprinter mit dem Logo der Tafel steuert. Beschädigte Zuckertüten, Waschmittelpackungen, Katzen- und Hundefutter haben sie und Jörg Oswald schon mitgenommen. Wer an der Tafel ansteht, der wird auch das gebrauchen können.
Tafel versorgt 500 Schüler mit Frühstück
Kurz vor 10 Uhr rollt das Tafelauto auf den Hof des „Diakoniewerks Arbeit & Kultur gGmbH“ an der Georgstraße. Während drinnen der Wagen ausgeräumt wird, die Ware noch einmal gründlich von Mitarbeitern auf Gammeliges kontrolliert wird, stehen draußen schon die ersten zehn, 15 Menschen mit ihren Tüten und Taschen. Sie warten. Um 11 Uhr macht die Tafel auf. Um 13 Uhr ein zweites Mal.
Die Mülheimer Tafel, die täglich Lebensmittel an bis zu 250 Menschen mit geringem Einkommen ohne eine Prüfung der Bedürftigkeit verteilt, sorgt auch dafür, dass 500 Kinder an 14 Schulen ein Schulfrühstück erhalten: Brötchen, Stütchen, Teilchen werden dazu aus den Spenden der Bäckereien genommen, Äpfel werden dazugekauft.
Verteilt wird, was gerade da ist
Auch Drogenabhängige im „Café Light“ und die Menschen, die den Obdachlosentreff „Teestube“ aufsuchen, werden aus den Lebensmittelspenden versorgt. Die Mitarbeiter dieser Treffs holen die Lebensmittel für ihre Klienten ab. „Das ist dann eine Mischung aus allem, was wir da haben“, sagt Michael Farrenberg, als Betriebsleiter des „Diakoniewerks Arbeit & Kultur gGmbH“ ist er für die Tafel zuständig.
Verteilt wird immer, was am Tag gerade da ist: zwei Teile Obst, ein Teil Gemüse, ein Teil aus der Kühltheke und zwei Brote kann heute jeder mitnehmen. Morgen wird es vielleicht wieder anders sein, je nachdem, welche Spenden die Tafelfahrer auf ihrer Tour am frühen Morgen mitnehmen durften.
Keiner soll leer ausgehen
Die Tafel verteilt seit fast 13 Jahren Lebensmittel. Mitarbeiter stehen bereit, die dafür sorgen, dass es bei der Verteilung gesittet zugeht, kein Kind verloren geht, kein Senior bedrängt wird. Inzwischen werden an die Wartenden Nummern verteilt, so dass die Reihenfolge feststeht und man weiß, wie viele gekommen sind. So kann man abschätzen, wie die gespendeten Waren verteilt werden, damit keiner ganz leer ausgeht.
„Wir entscheiden das jeden Tag neu“, erklärt Betriebsleiter Michael Farrenberg. Manche Waren, von denen nur wenig gespendet wurde, reichen dann eben nur für die ersten 15. So kommt es schon mal zu Diskussionen, wenn der 16. in der Reihe etwas nicht mehr haben kann.
Michael Farrenberg erinnert sich noch heute gut an einen Vorgang, bei dem ein Großhandel einen riesigen Schweinebraten gespendet hatte: Nur den einen, und die Tafel-Mitarbeiter sind angewiesen, Verpackungen nicht aufzureißen. Als der glückliche Empfänger mit dem Braten an der Reihe der Wartenden vorbeispazierte, wuchsen die Begehrlichkeiten. „Jeder hatte nur noch eine Frage: Wo ist der Schweinebraten?“ – berichtet Farrenberg.
Für viele ist der Gang zur Tafel nicht leicht
Auch Mitarbeiter des Diakoniewerks Arbeit & Kultur, Ein-Euro-Jobber oder Bürgerarbeiter und selbst nicht auf Rosen gebettet, können Lebensmittel von der Tafel bekommen. Auch sie stellen sich, an einer zweiten Ausgabe, an, und bekommen, für alle sichtbar, nicht mehr eingepackt als andere.
Für Mitarbeiter, die nicht selbst zur Ausgabe kommen können, werden auf Wunsch Tüten gepackt, die sie dann auch später abholen können. „Was da drin ist, wird kontrolliert“, sagt Michael Farrenberg. „Zweimal in der Woche, ohne festen Termin.“ Sollte sich jemand selbst zu üppig bedient haben „so bleibt das nicht ohne Konsequenzen“, betont der Betriebsleiter. „Wir nehmen das wieder heraus und es hat auch Folgen.“
Zur Tafel kann jeder kommen, es wird nicht kontrolliert, wie bedürftig jemand ist. Wer sich dort anstellt, ist öffentlich sichtbar, für viele wohl kein leichter Gang. Manche Menschen stehen schon sehr früh da und warten. Es strukturiert den Tag, wenn man sonst nicht viel zu tun hat, man trifft sich, hat Ansprache.
„Wir bekämpfen mit der Tafel nicht die Armut“, betont Ulrich Schreyer, der Geschäftsführer des Diakoniewerks Arbeit & Kultur. „Aber wir machen es Menschen etwas leichter, die es nicht leicht haben“.