Mülheim.

Grundschule Heinrichstraße, wenige Tage vor den Sommerferien. Nächste Woche, wenn die Kinder frei haben, räumt Schulleiterin Anette Grunwald ihr Büro aus. Vorgezogene Altersteilzeit setzt einen Punkt unter ihre Laufbahn als Grundschullehrerin, die 1976 am Sunderplatz begann. Auch aus dem Personalrat der Stadt scheidet die 62-Jährige dann aus. Grunwald bleibt aber im Ehrenamt und im Schulgeschehen: als Geschäftsführerin der GEW Mülheim.

Wie müssen wir uns die Junglehrerin Anette Grunwald 1976 vorstellen? Haben Sie Batiktuch und Jesuslatschen getragen?

Annette Grunwald: Von Batik war ich noch nie so angetan, aber natürlich hatte ich selbst gestrickte Pullover an. Und in den großen Pausen habe ich damals noch gestrickt – das könnte man heute gar nicht mehr machen.

Warum nicht? Aus Stil- oder aus Zeitgründen?

Grunwald: Weil wir, was viele Kolleginnen bemängeln, keine richtigen Pausen mehr haben, auch wenn sie so heißen. Wir nutzen die Zeit für kurze Gespräche, für Informationsaustausch. Im Lehrerzimmer geht es sehr selten relaxt zu. Und wenn ich eine meiner Visionen äußern darf...

Dürfen Sie.

Grunwald: ... dann wünsche ich mir, dass die Arbeitszeit von Lehrern neu berechnet wird, man weniger Pflichtstunden hat. Denn die Aufgaben außerhalb des Unterrichts sind immer mehr geworden.

Wofür brauchen Sie die Zeit?

Grunwald: Für programmatische Arbeit, Schulentwicklung, Evaluation, Dokumentation und Beratung. Als ich 1983 hier an der Heinrichstraße anfing, hatte der Schulleiter einen Ordner für Posteingang, einen für Postausgang, einen für die Statistik. Was Sie jetzt in meinem Büro sehen, sind drei Aktenschränke plus Computer.

Warum sind Sie seinerzeit Lehrerin geworden?

Grunwald: Weil man in diesem Beruf zwar viel Verantwortung hat, aber auch große Gestaltungsfreiheit. Das ist das Schöne, bis heute.

Sie haben zwei Generationen von Grundschulkindern erlebt. Haben die sich sehr verändert?

Grunwald: Alle Lehrerinnen und Lehrer sagen: ja. Es muss auch so sein, da sich ja die Zeit und unsere Gesellschaft stark verändert haben. Im Grunde sind es immer noch die netten, kleinen, noch unfertigen Menschen, aber sie haben sehr viele Medienanreize außerhalb der Schule, bekommen Eindrücke und Einblicke, die sie noch gar nicht bewältigen können. Wir müssen heute anders mit Kindern umgehen.

Mischen sich die Eltern stärker ein als vor 25, 30 Jahren?

Grunwald: Ja, früher hat man sie nur an den Sprechtagen in der Schule gesehen, aber damals haben wir Elternbeteiligung auch gar nicht in dem Maße eingefordert. Heute ist sie zum Programm geworden.

Wovon hängt aus Ihrer Sicht die Zukunft unserer Schulen ab?

Grunwald: Ein ganz entscheidender Punkt ist die Inklusion und alles, was damit einher geht: die personelle Ausstattung, die Frage, wie weit man die Schulen belasten kann.

Was noch?

Grunwald: Ob wir auf dem Weg zu guten oder weniger guten Schulen sind, hängt auch von der Einsicht des Landes ab, andere Berufsgruppen herein zu holen. Jede Schule müsste eine Schulpsychologin, eine Schulsozialarbeiterin und eine Sonderpädagogin haben. Außerdem brauchen wir ganz dringend eine feste Stellenreserve an jeder Schule.

Als Sie anfingen, in den 70er Jahren, gab es da mehr männliche Grundschullehrer als heute?

Grunwald: Nein, das hat sich kaum geändert.

Wie viele Männer gehören denn momentan zu Ihrem Kollegium?

Grunwald: Derzeit ist es nur ein einziger Mann, der auch mein Nachfolger als Schulleiter wird, gegenüber 16 Frauen. Nach den Sommerferien kommt aber ein zweiter Kollege als Verstärkung hinzu.

Warum meiden junge Pädagogen die Arbeit in der Primarstufe?

Grunwald: Es liegt an der gesellschaftlichen Nicht-Anerkennung: Viele meinen, Grundschullehrer sei kein richtiger Männerberuf. Es müsste mehr Kollegen geben, weil Jungen in der Erziehung einfach männliche Vorbilder brauchen. Aber ich glaube, das wandelt sich.

Früher blieb auch kein Kind zum Mittagessen in der Schule. Heute plädieren manche Bildungsexperten für eine verpflichtende Ganztagsschule. Sie auch?

Grunwald: Vieles wäre dann einfacher. Man könnte den Tag anders gestalten, falls man das Personal hätte. Aber die Ganztagsschule ist in Deutschland noch nicht so anerkannt. Viele Eltern wollen das nicht.

Sie haben selber zwei erwachsene Kinder. Wie konnten Sie früher Beruf und Familie vereinbaren?

Grunwald: Klassisch. Mit Hilfe einer sehr zuverlässigen Kinderfrau.