Mülheim. Seit 1977 war die Eckkneipe “Kaisereck“ in Mülheim Treffpunkt und Infobörse. Es waren vor allem Musiker, Musikbegeisterte, Künstler und Leute aus dem Viertel, alle eher links, die sich hier getroffen haben. Es ist das Nichtraucherschutzgesetz, dass dem Mülheimer Traditionslokal ein jähes Ende bereitet.
Von außen ist das Kaisereck eine ganz gewöhnliche Eckkneipe an der Kaiser- und Oberstraße. Nicht ungepflegt, aber schlicht und von gestern wirkt sie. Eben nicht modern. Flipper und Billard links, Yucca-Palmen auf den Fensterbänken. Rockmusik schallt aus den Boxen. An den Wänden hängen noch Poster von Jamie Faulkner und Bluttat, zwei Konzerte, die längst verklungen sind.
Die Kneipe hätte wohl mal eine Renovierung nötig, mag man denken. Bloß nicht, würden dann die Stammgäste protestieren, liegt doch gerade in der etwas ramponiert wirkenden Schlichtheit der Charme dieses Ortes. Er hat sich zur Kult-Stätte entwickelt und das nicht nur, weil hier Helge Schneider früher ständig ein und ausgegangen ist.
Umzug zum "Alten Schilderhaus" an der Südstraße
Aber für die wohl 400 Stammgäste kommt es jetzt viel schlimmer als eine gründliche Renovierung befürchten ließe. Die Traditionskneipe musste schließen. Es ist das Nichtraucherschutzgesetz, dass dem Lokal ein jähes Ende bereitet hat. Denn geraucht wurde hier viel, früher war die Luft hier zum Schneiden schwer. „Damit stirbt ein Stück Mülheim“, sagt Hans-Uwe Koch, der seit den späten 70ern hier zu den Stammgästen zählt. „Hier sind alle gleich“, schwärmt er. Man könne hierher kommen und immer jemanden treffen, den man kennt. Und selbst wenn dies mal nicht so sei, käme man ganz unkompliziert mit anderen Gästen in Kontakt.
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Das Kaisereck war eine Mülheimer Institution, ein Treffpunkt, eine Infobörse. Es waren vor allem Musiker, Musikbegeisterte, Künstler und Leute aus dem Viertel, alle eher links, die sich hier getroffen haben. Und was den 52-jährigen Koch besonders freut, das Publikum ging quer durch die Generationen. Es sei dem Wirt Tom Buder gelungen, auch junge Leute Anfang 20 anzusprechen.
Offiziell, so verkündet es ein Zettel am Eingang, ist es nur ein Umzug zum „Alten Schilderhaus“ an der Südstraße, das Buder seit zwei Jahren führt. Aber für Koch ist es eine Zäsur, denn die Kneipe war für Mülheim ein Aushängeschild.
Am Alten Schilderhaus gibt es diese Raucherproblematik nicht. Die Oberstraße ist eng, das verstärkt den Schall. „Da haben sie gleich das Gefühl, die stehen bei ihnen im Schlafzimmer“, sagt Gastwirt Tom Buder. Denn beim Rauchen bleibt es ja nicht. Die Gäste unterhalten sich, lachen. Dass die Anwohner sich darüber beschweren, das könne er sogar verstehen. Probleme hätten damit, wie er weiß, auch schon anderen Kneipen – etwa in der Altstadt. Dort hätten Anwohner wegen Ruhestörung die Polizei und das Ordnungsamt gerufen. „Rauchen geht, aber keine Unterhaltung“, hätten die Beamten gefordert, so Buder. Am neuen Standort gibt es für die Raucher nun sogar eine Überdachung.
Neue Kneipe, neue Öffnungszeiten und ein Dach für die Raucher
Vor 13 Jahren hatte Buder das Kaisereck übernommen, sein Vorgänger ging zu „Mutter Anna“, ein Lokal, das es auch schon längst nicht mehr gibt. Früher hatte der 46-Jährige in den Rathsstuben Platten aufgelegt, seit 1991 zählte er zu den Stammgästen und gehörte dem Sparclub an. Ja, so etwas Antiquiertes gab es dort noch. Hier schien eben die Zeit still zu stehen.
Gleich neben der Eingangstür hängt noch ein Plakat, das auf „Sunset Folks“ in der Freilichtbühne hinweist. So nannten die Reglers vor einigen Jahre noch ihre Mittwochsreihe. Dass dieses Plakat dort hängt, ist kein Zufall. Was wäre die Freilichtbühne ohne das Kaisereck! Beide sind wie siamesische Zwillinge. Wie oft haben sich die Musiker hier nach dem Konzert zum letzten Absacker getroffen. Und überhaupt, der Freilichtbühne, die sich vor Jahren noch im tiefen Dornröschenschlaf befand, mit Konzerten neues Leben einzuhauchen und die Regler Produktion zu gründen, all diese Ideen haben ihren Ursprung an dem Tisch in dieser Kneipe. Koch weiß es, er ist der Vorsitzende der Reglers.
Aber lässt sich ein Kult, eine Tradition von einem Ort zum anderen verlagern? So viele Erinnerungen sind es, die an den Ort geknüpft sind. Es liegt an den Menschen, sagt Koch, und auch Buder ist optimistisch, dass am neuen Ort ein neuer Kult entsteht kann. Den Billardtisch und die Tische und Stühle nimmt er mit. Und auch das Personal und die Öffnungszeiten passt er an. „Schön war’s“, sagt er und fügt hinzu, „es ist auch ein Teil von mir, den ich hier zurücklasse“.
Helge Schneider war lange nicht mehr da
Früher war das "Kaisereck" mal ein richtig bürgerliches Lokal. Buder hat ein altes Schankbuch von 1965, in dem die Reinigung der Zapfanlage dokumentiert ist. Kaffee und Kuchen gab’s auch. Davon zeugt noch die Vitrine an der Theke, in dem längst Knobelbecher, Karten und andere Spiele parat stehen.
Und wann war Helge das letzte Mal da? Buder kann sich genau erinnern. „Weihnachten – vor sechs Jahren.“