Mülheim. . Es ist ein Auftrag der Superlative: Für rund 750 Millionen Euro baut Thyssen Schachtbau aus Mülheim ein komplettes Bergwerk in Russland. Ein Wetterschacht liegt zwei Kilometer unterhalb der Erdoberfläche, insgesamt sollen 400 Arbeiter den Stollen errichten - und dabei obendrein einen firmeninternen Weltrekord knacken.
Es gibt einfachere Regionen auf der Welt, um ein Bergwerk zu errichten, als Sibirien, nördlich des Polarkreises. Bis zu minus 57 Grad zeigt das Thermometer im Winter an, Schneestürme erschweren das Leben zusätzlich. Hier in Talnach, fast am „Ende der Welt“, hat das Mülheimer Unternehmen Thyssen Schachtbau den größten Auftrag in seiner 140-jährigen Firmengeschichte an Land gezogen. Für rund 750 Millionen Euro errichten die Ingenieure dort ein komplettes Bergwerk unter und über Tage – Lieferung, Montage, Inbetriebnahme inklusive. 2019 soll Schlüsselübergabe sein und die Nickel-Produktion aufgenommen werden.
„Es ist das erste Mal für uns, dass wir ein komplettes Bergwerk errichten“, berichten Michael Klein und Werner Lüdtke vom Vorstand bei Thyssen Schachtbau. Das Unternehmen hat weltweit bereits über 200 Kilometer Schächte geteuft und hatte sich in einem internationalen Bewerberverfahren durchgesetzt. Auftraggeber ist MMC Norilsk Nickel, ein russisches Bergbau- und Hüttenunternehmen mit Firmensitz in Moskau. Es ist der weltweit führende Produzent von Nickel und Palladium.
Bis zu 400 Arbeiter werden das Bergwerk erstellen
Bis zu 400 Arbeiter werden das Bergwerk in den nächsten Jahren erstellen, dessen Herzstücke ein Wetterschacht und ein Förderschacht bis 2000 Meter Tiefe sein werden. Hinzu kommen rund 30 für den Bergbau typische Bauten. Der Transport von Material und Ausrüstung erfolgt nahezu vollständig per Schiff über das Polarmeer. Eine Straßenverbindung oder Eisenbahnschienen in die Norilsker Region existieren nicht. Wegen der extremen Winterkälte werden sämtliche Erd-, Beton- und Montagearbeiten in die Sommerzeit verlegt. Es wird dann rund um die Uhr gearbeitet.
Für Thyssen Schachtbau, so Klein, liefen die Geschäfte gut. Man hat ein erfolgreiches Jahr hinter sich und die Auftragslage gilt als hervorragend. Gerade der Eintritt in den russischen Rohstoffmarkt macht sich für das Mülheimer Unternehmen bezahlt. Längst versteht man sich nicht mehr als klassisches Bergbau-Unternehmen, sondern als Dienstleister hochwertiger Ingenieurskunst, der anderen Ländern den Zugang zu unterirdischen Schätzen öffnet. Selbst zählt man sich zu den drei führenden Bergbau-Spezialgesellschaften in der Welt und sieht sich als Nummer eins in Europa. Einige Sorgen bereitet indes der Ingenieurs-Nachwuchs, wie Lüdtke sagt. Gute Techniker, zumal mit Russisch-Kenntnissen, hätten exzellente Berufschancen. Denn das Vordringen zu den Rohstoffen in der Unterwelt hat aus Sicht der Techniker erst so richtig begonnen.
Weltrekord in 820 Metern unter der Erde
Einen Weltrekord kann Thyssen Schachtbau verbuchen. Noch nie zuvor ist es einem Unternehmen gelungen, Erdreich bis in einer Tiefe von 820 Metern zu gefrieren. Dem Mülheimer Unternehmen von der Sandstraße, das rund 600 Beschäftigte zählt, gelang dies jetzt in der Region Wolgograd in Russland. Seit 2009 ist das Unternehmen dort, wo EuroChem ein Bergwerk erstellen lässt und ab 2016 Kalisalz fördern möchte. Zur Förderung werden drei Schächte mit bis zu 1200 Metern Tiefe und sieben Metern Breite benötigt. Das ist die Aufgabe der Ingenieure von Thyssen Schachtbau.
Die Bodenbeschaffenheit ist in der Gegend nicht einfach. Je tiefer man gräbt, desto größer wird die Gefahr, dass die Schächte, auch durch Einfluss von Wasser, wieder einbrechen. Um die Schächte auch in größeren Tiefen zu stabilisieren und für den Einsatz der eigentlichen Schachtwände vorzubereiten, wird quasi ein Schutzschild aus Eis angelegt. Dazu wird um den zu erstellenden Schacht eine Kühlflüssigkeit in die Rohre gepumpt. 40 solcher Rohre umgeben einen Schacht. Etwa 500 Tage dauert es, bis die Eisbildung in solchen Tiefen, wo eigentlich Temperaturen um plus 30 Grad herrschen, erreicht wird. Thyssen Schachtbau wendet das Gefrierschachtverfahren seit 1871 an.