Mülheim. . Seit vier Jahren liegt die Kombination aus sportlicher Aktivität und einer Stadtführung in Mülheim voll im Trend: beim Sightjogging haben sich Sport- und Kulturbegeisterten die Möglichkeit, Sehenswürdigkeiten der Stadt im Laufschritt kennen zu lernen. Tatsächlich ist statt Gehen, Stehen und Zuhören, nur stetiges Laufen angesagt.

Die Tower-Bridge in Mülheim? 1844 soll es so gewesen sein. Sandra Bauersachs joggt rückwärts auf der Brücke am Ruhrkristall entlang und zeigt auf die Schlossbrücke. Damals stand dort eine der ersten Kettenbrücken Deutschlands. „Die schönste“, sagt Bauersachs. Und ein kleines bisschen soll sie so ausgesehen haben wie die Tower Bridge in London.

Der bis dahin bestehende Fährbetrieb über die Ruhr war dem Verkehrsaufkommen nicht mehr gewachsen. „Die beiden Stadtkerne in der Altstadt und am Schloss Broich mussten irgendwie verbunden werden“, erklärt Bauersachs, die mittlerweile schon am Gerbersteg angekommen ist. Ein kleiner Trupp aus fünf Läufern folgt ihr im gemäßigten Tempo – und lauscht. Schließlich ist das eine Stadtführung. Statt Gehen, Stehen und Zuhören, ist nur stetiges Laufen angesagt. Etwa sechs Kilometer werden dabei in einer Stunde zurückgelegt. „Sightjogging“ heißt das und wird schon seit vier Jahren von der MST in Kooperation mit „simply out tours“ in Mülheim angeboten.

Tapfer gegen den Regen

Über die Kassenbergbrücke geht es für den Trupp Richtung Wasserbahnhof und weiter die Ruhr entlang. „Ich bin hier mal um vier Uhr nachts gejoggt“, sagt Marcus Faure, der in Broich wohnt und regelmäßig eine ähnliche Strecke in seiner Freizeit joggt. „Da waren viele Angler unterwegs“. Der kleine Trupp von Sandra Bauersachs läuft auf der anderen Seite der Ruhr an der alten Villa Thyssen vorbeiläuft. Schließlich erfährt er ganz nebenbei, dass Josef Thyssen Ende des 19. Jahrhundert eigentlich gar nicht in so ein prestigeträchtiges Objekt ziehen wollte und den Wegezoll für „fahrende Gefährten“ auf der Kettenbrücke umging, indem er immer vor der Brücke ausstieg und zu Fuß nach Hause lief.

Ihr Wissen hat sich Bauersachs selbst angeeignet. „Ich bin keine offiziell ausgebildete Gästeführerin“, hat sie gleich am Anfang gesagt. Dafür aber langjährige Läuferin, Mutter zweier Kinder und Kinderkrankenschwester, die Mülheim mittlerweile besser kennt als ihr Mann, obwohl er aus Mülheim kommt und sie erst seit acht Jahren hier lebt. Auch Claudia Nelsen wohnt erst seit sieben Jahren in Mülheim – aus beruflichen Gründen. „Ich bin alleinerziehend und habe wenig Zeit. Ich dachte, das ist eine gute Möglichkeit, Mülheim mal etwas besser kennenzulernen, sagt die 46-Jährige. Tapfer läuft sie mit den anderen gegen den Regen an.

"Man kennt seine Heimat ja oft weniger als einige Touristenorte"

Als die Gruppe die Leineweberstraße erreicht, treten zwölf Füße langsam auf der Stelle. Eine rote Ampel – doch die Füße machen einfach weiter. Genau wie Bauersachs. Sie redet und redet und redet. Vermutlich ist das Tempo schon allein deshalb moderat, so dass alle Teilnehmer locker mitlaufen können. Bernhard Böhls läuft vor allem mit, weil er überhaupt mal wieder laufen will. „Ich hab etwas geschludert in den Ferien“, verrät der 67-Jährige. Faure hingegen war ganz bewusst auch auf der Suche nach kulturellen Informationen: „Man kennt seine Heimat ja oft weniger als einige Touristenorte“.

Als die sechs Sightjogger wieder den Ausgangspunkt, die Touristinfo am Synagogenplatz, erreichen, sehen alle zufrieden aus. „Ich bin froh, dass ich mithalten konnte“, verrät Reinders. Bauersachs verteilt noch schnell ein Snack-Pack: .„Ich hoffe, es hat Ihnen gefallen“, sagt sie. „Ich gehe jetzt in die Sauna.“