Mülheim.

Das Pils beim Herrengedeck kommt ohne einen Korn nicht aus. Genauso ist es in Italien beim Espresso und dem kleinen Glas Wasser dazu – ohne hier Äpfel mit Birnen vergleichen zu wollen. Bei letzterer Zugabe tun sich Gastronomen hierzulande aber etwas schwerer. Denn: Leitungswasser, im Niederländischen scherzhaft auch als „Gemeindebier“ bezeichnet, wird nicht als Lebensmittel gesehen, steht erst recht nicht auf der Getränkekarte und wird daher selten serviert. Wenn überhaupt, geschieht’s auf Nachfrage des Gastes. Nur: Warum?

Das wollten RWW und WAZ wissen und befragten mit Hilfe des Neusser Institutes für empirische Sozial- und Kommunikationsforschung Mülheimer Wirte nach dem Ausschank von Kraneberger. Zwei Studentinnen gingen am Wochenende auf die Suche nach Wasseradern bei den Gastronomen – nicht mit der Wünschelrute, dafür mit Klemmbrett, Fragebogen und viel Geduld.

Kaum Angebot an Trinkwasser

In den Cafés herrschte Samstag Vormittag reger Betrieb, die Menschen genossen den Sonnenschein bei Eis, Cappuccino oder Cola. Da konnten Anna Pöhls (23) und Annika Stuppy (25) noch so nett lächeln und ihr Thema erklären. In vielen Läden hieß es: „Für sowas haben wir hier keine Zeit.“ 20 Gastronomiebetriebe rund um die Innenstadt nahmen sich aber Zeit für den Fragebogen.

Darunter waren Cafés, Restaurants, Kneipen, Hotels, Schnellimbisse. Das Resultat zeigt eine eindeutige Tendenz: Nur zwei Betrieben bieten von sich aus Leitungswasser an, etwa das „Mocca Nova“, wo Sabine Schlüter hinterm Tresen steht. Nach Kraneberger gefragt, deutet sie auf ein Tablett neben der Kasse. Neben einer Karaffe voll Wasser stehen Gläser. „Die Leute müssen sich nur bedienen“, sagt sie. Leitungswasser habe es bei ihnen in dieser Form schon immer gegeben. Viel interessanter wirkt aber die zweite Trinkwasser-Kanne: „Da sind noch Limetten und Minzblätter drin.“

Wie sie, hat auch Kundin Claudia Beckmann aus der Stadtmitte keine Bedenken, wenn neben ihrem Latte macchiato ein Glas Leitungswasser auf den Verzehr wartet: „Die Qualität unseres Trinkwassers ist gut. Zuhause trinke ich es zwar weniger, aber wenn kein Mineralwasser da ist, nehme ich auch welches aus dem Kran.

Leitungswasser auf Nachfrage oft gratis

Diese tolerante Haltung zeigt sich auch bei den Gastronomen: Wenn es der Gast will, bekommt er es – und zwar gratis. 16 Befragte bejahen diese Frage, aber aktiv würden sie das Kraneberger nie bewerben oder ins Standardangebot aufnehmen, weil die Nachfrage zu gering sei und es der ökonomischen Logik ihrer Branche widerspreche.

Denn: Über den Getränkeabsatz lässt sich ein Lokal noch eher gewinnbringend führen, als über die Speisen. Ein Faktor, den bei der Umfrage jedoch keiner der Befragten offen ausspricht. „Nur Engländer und Chinesen bestellen Leitungswasser. Bei uns greift man auf Mineralwasser zurück, dafür steht’s auf der Karte“, bringt es ein Restaurantchef auf den Punkt.

Bei den Befürwortern hat man grundsätzlich keine Bedenken, was die Qualität des Mülheimer Trinkwassers angeht. Vier Betriebe verzichten aber auf den Ausschank von Kraneberger und führen dafür neben den genannten ökonomischen Gründen auch die Qualität an, weil sie die Rohre in ihrem Haus nicht für gut befinden.

Ganz anders sieht es Tilli Hesse, Seniorchefin vom Hotel Handelshof, wo der Kraneberger-Ausschank zur Kaffeekultur gehöre: „Es gibt nichts Besseres als unser Wasser!“ Sie steht zwar nicht allein mit dieser Meinung, aber nur der Kunde kann sie durchsetzen.

Mineralien enthält es auch - Wissenswertes über Leitungswasser 

Verglichen mit Mineralwasser ist Kraneberger spottbillig: Ihren Privatkunden stellt die Rheinisch-Westfälische Wasserwerksgesellschaft (RWW) derzeit einen Mengenpreis von 1,21 Euro pro Kubikmeter in Rechnung. Jeder Liter kostet also gerade mal 0,12 Cent.

Um die Qualität des Trinkwassers muss man sich hierzulande wenig sorgen. Es ist „das am besten kontrollierte Lebensmittel“ heißt es erst jetzt im Juli wieder in einem Bericht der Stiftung Warentest, die stille Mineralwässer mit Kraneberger verglichen hat. Stellt man die aktuellen Analysewerte des Mülheimer Trinkwassers (Daten unter: rww.de) daneben, so enthält es teilweise mehr Mineralien als Marken aus dem Markt. Zwei Beispiele: Beim Warentest hatten die Sorten zwischen 1 und 83 mg Magnesium pro Liter, Mülheimer Trinkwasser enthält durchschnittlich 8,7 mg. Bei Kalium kommt es auf 4,8 mg, die stillen Wässer wiesen höchstens 3,3 mg auf.

Hauseigentümer ist mitverantwortlich für Wasserqualität

Doch wegen möglicher Keime empfehlen die Warentester, dass Kranke sowie alte Menschen und Babys „vorsorglich“ nur abgekochtes Kraneberger trinken sollten. Für stilles Mineralwasser gilt das allerdings auch. Wie gut das Wasser ist, das aus dem Hahn strömt, hat aber nicht allein RWW zu verantworten, sondern ebenso der Hauseigentümer. Für öffentliche Einrichtungen, Schulen, Schwimmbäder, aber auch Krankenhäuser oder Hotels ordnet die Stadt jährliche Untersuchungen durch zertifizierte Institute an.

„Das Problem waren zuletzt vor allem Legionellen“, erklärt Dr. Dieter Weber, stellvertretender Leiter des Mülheimer Gesundheitsamtes. Kritisch seien vor allem Trinkwassererwärmungsanlagen, in denen das Wasser längere Zeit steht.

Wohnen mindestens drei Parteien in einem Haus, muss laut neuer Trinkwasserverordnung die Anlage beim Gesundheitsamt gemeldet und untersucht werden. Was, so Dr. Weber, noch längst nicht in allen Fällen passiert.