Mülheim. . Auf den ersten Blick ist es einfach: Unter der Last ihrer Schulden drohen all jene zu ersticken, die über ihre Verhältnisse leben. So einfach ist es nicht. Denn bei immer mehr Menschen fressen die Ausgaben die Einkünfte auf. Auch die Zahl der über 60-Jährigen steigt.
Wer Schulden hat, so sagt man ja schnell, der hat offenbar über seine Verhältnisse gelebt. Was aber, wenn die Verhältnisse, also das Einkommen, nicht Schritt hält mit den Kosten für das, was der Mensch zum Leben braucht – Miete, Strom, Lebensmittel? In die Schuldnerberatung der Awo kommen immer mehr Menschen, die trotz ihres geregelten Einkommens nicht mehr in der Lage sind, alle finanziellen Verpflichtungen zu stemmen. Und Menschen über 60, bei denen die Rente im Alter kaum mehr zum Leben ausreicht.
1358 Menschen haben im vergangenen Jahr Hilfe bei der Awo-Insolvenz- und Schuldnerberatung gesucht, bilanziert Awo-Geschäftsführerin Adelheid Zwilling (1296 waren es im Jahr 2010). 829 kamen erstmals in die Beratung. „Das ist“, so Zwilling, „eine Steigerung von zwölf Prozent im Vergleich zum Vorjahr“. In diesem Jahr waren es bis zum Stichtag am 1. Juni bereits 411 Menschen, die Hilfe suchten.
Eine gefährliche Spirale
Hinter den Zahlen stehen Menschen, die durch Arbeitslosigkeit, Trennung/Scheidung oder durch eine Fehlkalkulation, etwa beim Hausbau, in die finanzielle Schieflage geraten sind. Immer öfter kommen aber auch Familien oder Rentner in die Beratung, die mit dem Einkommen nicht mehr auskommen, die etwa die erhöhten Kosten für Benzin und Energie nicht mehr stemmen können.
Zumal, wenn es auch noch Kreditverpflichtungen gibt. Es sind oft kleine Einkommen nahe an jener Grenze, unter der man Anspruch auf ergänzende Sozialleistungen hat.
Eine gefährliche Spirale beginnt, wie Schuldnerberater Carsten Welp, weiß. „Das wird“, sagt er, „oft mit dem Dispo aufgefangen“. Wenn dann ungeplante Ausgaben dazukommen: Waschmaschine kaputt, Nachzahlung von Strom- oder Nebenkosten – „katapultieren sich viele in eine ausweglose Situation“.
Wege zur Schuldentilgung finden
Bevor es so weit ist, sollte man sich Hilfe holen. Die Schuldnerberater haben nicht selten verzweifelte Menschen vor sich sitzen, die Schulden von 50- 60.000 € drücken. Die Berater schauen, dass die Lebenshaltung gesichert ist, versuchen dann Wege zur Schuldentilgung zu finden. Einsparmöglichkeiten werden ermittelt, aber auch ein Vergleich mit dem Gläubiger, eine Stundung – oder die Privatinsolvenz können eine Lösung sein.
Letzteres, weiß Welp, fällt Älteren, die ihr Leben lang gewohnt waren, ihre Rechnungen zu bezahlen, besonders schwer. Der Anteil der Ratsuchenden über 60 hat zugenommen: Waren es 2004/05 deutlich unter 100, die sich beraten ließen, so kamen im vergangenen Jahr 397 Menschen (2010: 159); und bis zum 1. Juni schon 210 Senioren, die Hilfe suchten.
„Das sind jene Menschen, bei denen eine Lücke klafft zwischen Einkommen und Rente“, sagt Adelheid Zwilling. „Diese Lücke ist nicht gedeckt. Wenn die Einkommen nicht steigen, wenn die Leute nicht genug verdienen, um für ihr Alter zu sorgen, wird sich das Problem weiter verschärfen“, betont die Awo-Geschäftsführerin, „ganz besonders gilt das für Frauen.“
Die Awo will auch mit dem Seniorenbeirat über das Thema sprechen, und überlegen, welche Möglichkeiten zur Unterstützung es noch gibt.