Mülheim. .
Es kam nicht überraschend und durchzog wie die Dauerberieselung in „Immer noch Sturm“ das gesamte Festival von Anfang an: Peter Handke gewinnt für sein Stück den 37. Mülheimer Dramatikerpreis. Die Entscheidung fiel nach mehreren Diskussionsrunden der fünfköpfigen Jury Donnerstagnacht um halb eins. Und es gab noch mehr Gewinner, die sogar hautnah dabei waren: Dem Ensemble des Deutschen Schauspielhauses aus Hamburg, das sich noch am selben Abend energiegeladen durch die Globalisierungkomödie um die Baumwollflocke gespielt hatte, flogen die Herzen der Zuschauer nur so zu. Für „Das Ding“ konnte Philipp Löhle den Publikumspreis einfangen. Ein Jubel ging durch das Theater an der Ruhr, als Festivalleiter Udo Balzer-Reher am Ende der Jury-Sitzung den Publikumspreis bekanntgab. Ein Preis ehrenhalber. Löhle ist in Mülheim kein Unbekannter: Mit „Genannt Gospodin“ war er bei den Stücken 2008 vertreten.
Und so können Sieger aussehen: In sich ruhend, gelöst und mit einem Teller Essen in der Hand gab sich der 33-jährige Autor bei der anschließenden Feier im Lokal nebenan. „Nee“, sagt Löhle, „mit Preisen kann man nie rechnen.“ Er habe gerade noch gedacht: „Es ist schon gut mit einem guten Stück eingeladen zu werden.“ Und wenn es immer mal wieder zur Schieflage der Inszenierung eines Stückes kommt, so unterstellt Löhle den Machern keinen Vorsatz. „Ich werfe keiner Inszenierung vor, dass sie etwas Böses will, sondern nur ihr erdenklich Bestes.“ Prinzipiell sei er für Werktreue. „Es ist immer gut, den Regisseur zu kennen und mit ihm in eine Richtung zu ziehen.“ Aber viel zu oft gehe das auch schief. Von 2008 bis 2010 war Philipp Löhle Hausautor am Maxim Gorki Theater in Berlin, in der Spielzeit 2011/2012 am Nationaltheater Mannheim.
Der Text soll im Mittelpunkt stehen
Die Mülheimer Theatertage sind das Autoren-Festival, wo der Text die Hauptrolle spielt. In seiner Vorbemerkung fand Moderator Gerhard Jörder deutliche Worte. Er appellierte eindringlich an die Theater, bei den Inszenierungen sorgfältiger mit dem Text umzugehen. Er habe selbst an großen und reich ausgestatteten Häusern manche Uraufführungen erlebt, die die neuen, noch unbekannten Texte „regelrecht verhunzt haben, bis zur Unkenntlichkeit mit kruden Regieeinfällen überstülpt, verjuxt und verzappelt, jeder Ernsthaftigkeit beraubt“. Trauriges Ergebnis sei oft genug: Textbegräbnisse statt Textentdeckungen. „Sorgt dafür, dass die jungen, zwar vielleicht noch unfertigen, aber erkennbar entwicklungsfähigen Schreibtalente von erfahrenen, empathischen Regisseuren betreut werden!“
Das kann einem arrivierten Autor wie Peter Handke so schnell nicht mehr passieren. Er war zum sechsten Mal zu den „Stücken“ eingeladen, 2005 hatte er dankend abgelehnt, sich am Wettbewerb zu beteiligen. Erstmalig bekommt der in Paris lebende 69-jährige Autor den mit 15 000 Euro dotierten Preis. Für Handkes sprachgewaltiges und vieldimensionales Geschichtsdrama mit biografischen Zügen um den Identitätsverlust der slowenische Minderheit in Kärnten votierten vier der fünf Juroren. „Das einzige wirklich große Stück, das wir hier zu besprechen haben“, so Till Briegleb, Sprecher des Auswahlgremiums. Bei der Auswahl machte Briegleb keinen Hehl daraus, dass es kein Jahrgang gewesen sei, der die Jury überreich bedacht habe. Aus 123 gesichteten Texten und rund 60 gesehenen Uraufführungen seien am Ende gut ein Dutzend übrig geblieben. Heraus kristallisierten sich sieben Stücke, „die Spitze“ neuer deutscher Dramatik.
Nach der monumentalen Inszenierung „Immer noch Sturm“ von Dimiter Gotscheff und dem Hamburger Thalia Theater zum Auftakt konnte man sich fragen: Was soll da noch kommen? Ein Gegengewicht wäre vielleicht das Pollesch-Stück „Kill your Darlings!“ gewesen, das aber wegen Erkrankung des Hauptdarstellers ausfiel.
Mal gucken, ob Peter Handke zur Preisverleihung kommt. Der Termin steht noch nicht fest.