Mülheim.

Martin Luther trägt den neusten Trend der Saison: eine schwarz-rot-goldene Federboa. Als Accessoire hat Pfarrer Michael Manz der Statue noch ein Deutschland-Fähnchen unter die Bibel geklemmt, und auch die Kanzel in Nationalfarben gekleidet. Schließlich wird hier ab Samstag im Rudel Fußball geguckt. Nicht nur in der Ev. Friedenskirche am Humboldthain zelebriert man das Fußballgucken als Gemeinschaftserlebnis, in vielen ev. und kath. Gemeinden rücken Gläubige und Nicht-Mitglieder zur EM eng zusammen vor die Fernseher – und beten gemeinsam zum Fußballgott.

Unter dem Kreuz, das von der Decke baumelt, versteckt sich eine Großleinwand. „Die wird am Samstag herunter gefahren, per Beamer übertragen wir dann die Deutschland-Spiele“, erklärt Pfarrer Michael Manz. Neben dem Altar hat er nicht nur Luther eine Boa übergestülpt, sondern auch das Taufbecken in schwarz-rot-gold getaucht. Noch bunter soll das Gotteshaus in den nächsten Tagen aussehen: „Wir hängen eine Wimpelkette und Flaggen verschiedener Nationalitäten auf“, verspricht der Pfarrer. Eine Kerze, die mit kleinen Bällen und den Nationalfarben verziert ist, wird zu jedem Spiel entzündet.

Der Pfarrer ist eben auch nur ein Fußball

Die Friedenskirche als Fußball-Tempel? Ja, denn der Pastor setzt seine Kirche bewusst in Szene, „nur so baut man Schwellen ab und bekommt Menschen in die Kirche“, weiß Manz, der seine Schäfchen auch gerne im National-Trikot begrüßt. Damit zeigt er: Der Pfarrer ist eben auch nur ein Fußballfan. Seit der WM 2006 veranstaltet Manz das Rudelgucken in den Reihen seiner Kirche. „Die Leute haben hier eben mehr Spaß, als alleine in ihrem Wohnzimmer.“

Es gelte die alte Regel: Fußball verbindet. So sieht das auch Pfarrerin Annegret Cohen. In ihrer Gemeinde, der Vereinten Ev. Kirchengemeinde, veranstaltet sie ein „Public Screening“ in der Kreuzkirche an der August-Schmidt-Straße. „Wir sind gut ausgestattet mit einer großen Leinwand und Beamer – das hat fast schon Arenacharakter“, freut sich die Pfarrerin. „Wir sitzen mit allen Generationen zusammen, die Kinder können im Garten Fußball spielen, während die Erwachsenen die Mannschaften anfeuern.“ Dabei helfen alle mit, den Raum mit Fahnen zu schmücken und sich gegenseitig mit Schminke die Nationalfarben aufzumalen. „Die Besucherzahlen steigern sich: 30 bis 40 Leute kommen am Anfang, beim Endspiel sind es dann schon bis zu 100 Leute, die mitfiebern.“

Menschen auch außerhalb der Gemeinde erreichen

Um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken und auch Menschen außerhalb der Gemeindereihen zu erreichen, öffnen auch die Ev. Lukaskirchengemeinde im Gemeindezentrum an der Aktienstraße 136 sowie die Ev. Erlöserkirche am Sunderplatz 4 ihre Pforten für Fußballfans. Übrigens ist der Eintritt überall frei. Ebenso veranstalten einige katholischen Gemeindehäuser das sogenannte „Rudelgucken“.

„Wir übertragen die Spiele im Rahmen unseres Gemeindefestes am 23. und 24. Juni“, sagt Pastor Norbert Dudek aus der Gemeinde St. Mariae Rosenkranz in Styrum. Dann versammeln sich die Gäste vor dem Fernseher im Gemeindehaus, das mit Flaggen bunt geschmückt sein wird. „Wir haben viele Gruppen verschiedener Nationalitäten in unserer Gemeinde, die alle mitfiebern.“

Dass Public Viewing kein Phänomen der Fußball-WM 2006 ist, weiß Wolfgang Feldmann, Vorsitzender des Katholikenrats in Mülheim. Er erinnert sich gerne an sein erstes gemeinschaftliches Fußballerlebnis in der Dümptener St. Barbara Gemeinde, bei der EM 1996, bei der Deutschland den Titel gewann: „Zusammen mit meinem Sohn und vielen anderen Leuten haben wir im mit Fahnen geschmückten Gemeindehaus das Golden Goal auf einer großen Leinwand verfolgt – das war ein tolles Erlebnis.“ Feldmann findet, dass alle Gemeinderäume für ein solches sportliches Großereignis - auch außerhalb des religiösen Rahmens - offen stehen sollten. „Denn das stärkt das Gemeinschaftsgefühl.“

Kaum Fußballschmuck im Forum

Ein Deutschland-Schal hier, ein Blumenkranz dort – vom schwarz-rot-goldenen Farbenmeer ist wenige Tage vor der EM bei Händlern in der Innenstadt noch nicht viel zu sehen. Nur vereinzelt bieten die Geschäfte Flaggen, Banner, Hüte, Schals oder Blumenkränze in den Nationalfarben an.

Im Forum baumelt kaum Fußball-Schmuck. Hier und da weht ein Fähnchen im Luftzug, wenn die Besucher vorbei eilen. „Wir haben kein Public Viewing geplant“, sagt Center-Manager Wolfgang Pins. Großleinwände oder ein Rudelgucken wird es also nicht geben. Jedoch sollen die EM-Spiele auf den Fernsehern des Einkaufszentrums übertragen werden. Als besondere Aktion zur EM veranstaltet das Forum außerdem ein Kicker-Turnier vom 28. bis 30. Juni, im 1. Obergeschoss.

Fußball-Lounge für die Besucher im Rhein Ruhr Zentrum

Ähnlich sieht es im Rhein Ruhr Zentrum aus – Großleinwände soll es auch hier nicht geben. Dafür aber eine Fußball-Ecke mit Flachbildschirm. „In der Südmall wird es eine kleine Fußball-Lounge geben“, sagt Ulrike Klatt, Assistentin des Center-Managements. „Dort können es sich Kunden in Ledersitzen gemütlich machen und die Spiele verfolgen.“ Was wohl die männliche Kundschaft freuen dürfte – während die Frauen einkaufen, können sie sich die Wartezeit mit den EM-Spielen vertreiben.

Unabhängig davon haben die Einzelhändler teilweise eigene Aktionen geplant. „Manche von ihnen veranstalten auch Public Viewing.“

Gemeinschaftlich Fußball gucken kann man natürlich auch an vielen anderen Orten der Stadt. Zum Beispiel am Flughafen Essen/Mülheim: Unter dem Motto „Live im Hangar“ werden von Samstag, 9. Juni, bis Sonntag, 1. Juli, alle Spiele der Deutschen Nationalmannschaft live und wetterunabhängig auf einer Großleinwand (8x4 Meter) am Rollfeld übertragen. Liegestühle stehen für Fußballfans bereit, Autos müssen aber draußen bleiben. Der Eintritt ist frei, der Mindestverzehr beträgt 5 Euro. Weitere Informationen gibt es im Internet: www.meineventkino.de