Mülheim.
Behindert, bespuckt, beschimpft: Eine Studie der Ruhr Uni Bochum (RUB) belegt, dass jeder vierte Rettungsdienstler bereits Opfer von Gewalt im Einsatz wurde. So haben 98 Prozent der Helfer in NRW schon mal Beschimpfungen erlebt, 59 Prozent kassierten gar Schläge. Befragt wurden über 2000 Mitarbeiter von Rettungsdiensten und Berufsfeuerwehren in sechs Städten, darunter die Mülheimer Feuerwehr. Diese setzt auf Rollenspiele, um Retter auf Konfliktsituationen vorzubereiten.
Ein Blick zurück: Partymeile an der Sandstraße, eine Gruppe Jugendlicher prügelt und pöbelt nach dem Feiern vor einer Diskothek. Aufregung, Jugendliche brüllen, ein Junge blutet, jemand alarmiert die 112.
Abwehren, Wegschubsen, Anspucken
Wenn Notarzt Thomas Franke und seine Kollegen vom Rettungsdienst der Feuerwehr eintreffen, um Verletzten zu helfen, geraten sie selbst zwischen die Fronten – werden beschimpft manchmal sogar geschubst. „Das ist ein typischer Fall. Oft stehen wir plötzlich mittendrin und müssen erst mal Ordnung reinbringen, beruhigen, damit wir überhaupt den Patienten untersuchen können.“
Abwehren, Wegschubsen oder Anspucken sind laut RUB-Studie die häufigsten Übergriffe gegen Rettungskräfte. Soziologin Julia Schmidt verteilte über 2000 Fragebögen in Essen, Dortmund, Remscheid, Düren, Warendorf und eben in Mülheim. Überraschend: „Die Rücklaufquote lag in Mülheim bei nur 15 Prozent.“ Nur wenige Mülheimer Rettungssanitäter füllten die Fragebögen überhaupt aus. Gibt es hier weniger Gewalt?
Unzureichende Vorbereitung auf Konflikte
„In Mülheim ist das Problem nicht so drängend“, vermutet Thomas Franke. „Es gibt zwar immer wieder Einzelfälle, in denen man körperlich angegangen wird.“ Viel häufiger seien aber verbale Attacken. „Beschimpfungen und Respektlosigkeit haben deutlich zugenommen.“ Er meint: „Unsere Arbeit wird nicht gewürdigt. Viele sehen den Rettungsdienst als Selbstverständlichkeit.“ Ihm selbst wurde einmal Waffengewalt angedroht. „Da mussten wir uns zurück ziehen und konnten der anderen Person, die verletzt am Boden lag, nicht helfen.“ Wenn Helfer selbst bedroht werden, müssen sie sich selbst helfen. Viele überfordern solche Situationen. Ein Kritikpunkt der Betroffenen sei die unzureichende Vorbereitung auf Konflikte.
Prof. Dr. Harald Karutz bereitet Rettungsdienstler auf gefährliche Situationen vor. Der Mülheimer Notfallpädagoge bildet im Notfallpädagogischen Institut, das er in Essen leitet, Rettungskräfte aus und fort. Das Thema Gewalt ist dort im Lehrplan integriert. Aggressivität, sagt er, entstehe aber auch durch Unwissenheit, im Schock oder unter Alkohol. Generell gelte: In Mülheim werde der Notarzt häufiger zu Herzinfarkten als zu Disco-Schlägereien gerufen.
Dennoch setzt auch die Mülheimer Feuerwehr auf Schulung der Kommunikation. „Das Thema wird immer wichtiger, weil wir aus der Praxis wissen, wie schwierig es ist, die richtige Sprache zu finden“, sagt Franke. In Rollenspielen üben die Retter den richtigen Umgangston mit aggressiven Patienten.
Eisübung der Mülheimer Feuerwehr