Mülheim. Die Mülheimer haben den Ratsbeschluss zur Schließung der Hauptschule Bruchstraße gekippt. 17.327 Bürger stimmten beim Bürgerentscheid für den Erhalt der Schule in Eppinghofen. Die Wahlbeteiligung lag bei 20,5 Prozent.
19.02 Uhr am Sonntagabend: Im Rathausfoyer bricht Jubel aus, Sektkorken knallen, sogar einzelne Freudentränen fließen. Der Bürgerentscheid ist für das „Bündnis für Bildung“ erfolgreich verlaufen. Der Hauptschulstandort in Eppinghofen bleibt bestehen. Die Mülheimer haben den Ratsbeschluss zur Schließung der Schule gekippt.
So deutlich hatten nur wenige das Resultat erwartet, das die Oberbürgermeisterin sichtlich erfreut verkündete. Über Monate hatten beide Lager gekämpft. Das „sehr schöne Ergebnis“ zeige, so die OB, dass die direkte Demokratie funktioniere. 27.540 Bürger, das sind 20,5 Prozent der Wahlberechtigten, gaben ihre Stimmen ab.
Rat – Gericht – Bürger
In Zuge der Schulentwicklungsplanung beschloss der Rat im Sommer 2011 mit den Stimmen von CDU, Grünen, FDP und MBI die Hauptschule in Eppinghofen wegen Schülermangels aufzugeben. Damit folgten sie auch der Empfehlung des städtischen Schuldezernates. SPD, Die Linke und Wir-Linke votierten gegen die Schließung. In Eppinghofen hatten sich schon im Vorfeld ein „Bündnis für Bildung“ gebildet unter anderem mit Vertretern der Schule, der Gewerkschaften und der Kirchen. Das Bündnis initiierte ein Bürgerbegehren zum Erhalt der Schule. Das erforderliche Quorum wurde mit 13 000 Stimmen deutlich übertroffen. Die Stadt erklärte das Begehren aus formaler Sicht für ungültig, das Bündnis schaltete das Verwaltungsgericht ein und bekam Recht. Dem Bürgerbegehren folgte gestern der Bürgerentscheid.
Davon votierten 17 327 mit „Ja“, was 63,5 Prozent ausmacht. 10.153 Bürger oder 36,9 Prozent stimmten dagegen und wollen die Hauptschule an der Bruchstraße nicht erhalten. Damit lag das Bürgerbündnis deutlich über dem erforderlichen Quorum von rund 13.400 Stimmen. Die Hürden hatte die Landesregierung erst zu Beginn des Jahres herabgesetzt.
"Man wächst mit den Aufgaben"
„Ich fühle mich gut“, strahlte Schulleiterin Gabriele Klar, die im Endspurt zum Bürgerentscheid unter starkem Lampenfieber gelitten hatte. „Ich freue mich, dass die ganze Arbeit sich gelohnt hat.“ Den Bürgerentscheid versteht sie als „Startschuss“, um den Standort weiterzuentwickeln: „Es wird keine Hauptschule bleiben.“ Sorge vor der gewonnenen Verantwortung hat Gabriele Klar nicht: „Man wächst mit den Aufgaben.“
Der CDU-Vorsitzende Andreas Schmidt gratulierte dem Bündnis und sieht jetzt die Oberbürgermeisterin in der Pflicht, das nötige Geld für die Sanierung der Schule, rund sechs Mio Euro, bereitzustellen, ohne dass andere Schulen darunter leiden.
"Wir haben jetzt einen Handlungsauftrag"
„Ich hoffe, dass sich nun die Fraktionen zusammensetzen und gemeinsam das weitere Vorgehen beraten“, erklärte SPD-Fraktionschef Dieter Wiechering und streckt damit die Hand in Richtung CDU, FDP, Grüne und MBI aus, die die Schule schließen wollten. „Wir werden noch zwei, drei Tage Tränchen verdrücken“, so der FDP-Vorsitzende Peter Beitz, „aber wir haben jetzt einen Handlungsauftrag, den uns die Mülheimer Bürger gegeben haben, und den werden wir ausführen.“
Der Bürgerentscheid war auch ein sehr politisch geführter Kampf: Hier SPD, Linke und auf der anderen Seite das Viererbündnis. Das große Problem sieht Heiko Hendriks, schulpolitischer Sprecher der CDU, auch nach dem Entscheid nicht gelöst, im Gegenteil: Wie soll die erforderliche Sanierung der Schule bezahlt werden? Erste Stimmen waren gestern Abend im Rausch der Freude schon zu vernehmen: Lasst uns jetzt dort eine Sekundarschule errichten!
Einer, der sich eher still freute, war Pfarrer Helmut Kämpgen, der maßgeblich aus sozialen Gründen für die Schule an der Bruchstraße gekämpft hatte. „Es ist ein Sieg für den Stadtteil Eppinghofen“, sagte er und gestand, nicht nur Kämpfen habe geholfen, sondern auch Beten.
Stimmen zum Bürgerentscheid in Mülheim
„Ich bin erleichtert“, gestand Richard Grohsmann, Sprecher des Bündnisses für Bildung, „obwohl ich immer zuversichtlich war und gesagt habe, wir werden es schaffen. Es war Stress ohne Ende.“
Zu den ganz wenigen Bruchstraßen-Schüler(innen), die das Finale am Sonntagabend im Ratshaus live verfolgten, gehörte Vanessa Maicen (13), die glücklich aussah und es „super“ fand, „dass wir es endlich geschafft haben und jetzt das ganze Geld von der Regierung bekommen“. Ihre Mutter, Sandra Maicen freute sich mit, weil sie die Erfahrung gemacht hat: „Diese Schule kämpft für jedes Kind. Auch wenn es Probleme hat.“
Freude und neue Fragen
Glückwunsch. So deutlich war das Ergebnis nicht zu erwarten. Die Freude des Bürgerbündnisses ist berechtigt, auch weil es manche Hürden zu nehmen hatte, nie aufgab, viel bewegte. Wenn sich die Freude gelegt hat und der nüchterne Blick des Alltags folgt, wird mancher jedoch besorgt registrieren, dass unterm Strich lediglich 13 Prozent der Wahlberechtigten entschieden haben. Eine krasse Minderheit hebelt das Parlament aus. Der Rat der Stadt muss seine Entscheidung zurücknehmen, das Schulgebäude für mehrere Millionen instand setzen. Der Kampf ums Geld wird der nächste sein. Offen ist, was aus dem Standort wird. Wohl eine andere Schulform – wenn die Schüler mehr werden. Das würde nicht ohne Folgen für andere bleiben, was neue Fragen aufwirft. Mehr politische Gemeinsamkeit wäre daher zu wünschen, wenn nun der Schulentwicklungsplan neu geschnürt wird. Keine neuen Machtkämpfe, es geht nicht um Existenzielles. Da hat Mülheim weitaus gravierendere Probleme zu lösen. Andreas Heinrich
Aus ähnlichen Gründen kämpfte WIR-Ratsherr Gerhard Schweizerhof gegen den Beschluss, den Schulstandort an der Bruchstraße zu schließen, und äußerte sich gestern „sehr erfreut“. Der Bürgerentscheid zeige, „welche Kraft in den Mülheimer und den Eppinghofern liegt, dass sie die Sache in die Hand nehmen“. Nun, so Schweizerhof, gehe es darum, den Standort weiterzuentwickeln. Die geringen Anmeldezahlen überzeugen ihn als Gegenargument mitnichten: „Wir brauchen kleinere Schulen. Wenn sich Jugendliche entwickeln sollen, darf es nicht zu anonym sein.“
Tim Giebert, Fraktionssprecher der Mülheimer Grünen,erklärte: „Wir nehmen das Ergebnis zur Kenntnis, obwohl wir uns natürlich ein anderes gewünschte hätten, und erwarten nun Vorschläge der Befürworter zur Umsetzung, vor allem zur Finanzierung.“ Giesbert konnte dem Votum gleichwohl etwas Positives abgewinnen: „Womit ich zufrieden bin, ist die Wahlbeteiligung.“
Lothar Reinhard, Sprecher der MBI, wertete das Votum als „Pyrrhus-Sieg. Das Problem bleibt: Es gibt zu wenige Schüler.“