Mülheim. Schon wieder ein Fall von Senioren-Abzocke bei einer Bank? Eine 91-Jährige aus Mülheim ließ sich vor ein paar Jahren bei der Commerzbank einen Schiffs- und Immobilienfonds mit einer Laufzeit bis zum Jahr 2026 andrehen. Jetzt braucht sie das Geld - kommt aber nur mit hohen Verlusten heran.
In seiner Familie würde man zwar sehr alt, aber so alt? Dr. Wolf Wilberscheid ist da skeptisch mit Blick auf seine Tante, die in der Mülheimer Altstadt lebt, 91 Jahre alt ist und 105 Jahre werden müsste, um noch in den Genuss ihres Vermögens zu kommen. Das hat ihr die Commerzbank in Mülheim als Anlage in geschlossene Schiffs- und Immobilien-Fonds bis zum Jahr 2026 festgelegt. Eine achtbare sechsstellige Summe, was davon am Ende übrig bleibt, ist offen. Die alte Dame fühlt sich platt ausgedrückt hinters Licht geführt, der Angehörige und Bevollmächtigte spricht von Sittenwidrigkeit und hat eine Anwaltskanzlei eingeschaltet.
„So kann man mit alten Menschen nicht umgehen. Die Tante hat nicht gewusst, was sie da in den Jahren 2007 bis 2009 alles unterschrieben hatte“, sagt Wolf Wilberscheid und fordert, dass die Bank den alten Zustand wieder herstellt, dass seine Tante wieder an ihr Geld kommt, und dass keinerlei Provisionen eingehalten werden.
Alter Dame war gar nicht klar, welche Geschäfte sie getätigt hatte
Die Anlage in derartige Fonds mit den langen Laufzeiten und den möglichen Risiken fiel erst vor einigen Monaten auf, als es in der Familie um das Thema Seniorenheim und Kosten ging. „Bis dahin war auch der Tante gar nicht klar gewesen, dass sie quasi Anteilseignerin an Schiffen und Immobilien geworden ist und an ihr Geld gar nicht mehr herankommt, und wenn, dann nur unter hohem Verlust“, so Wilberscheid. Und das alles, obwohl die 91-Jährige Stammkundin bei der Bank ist, zunächst in Essen, dann in Mülheim. Eingestuft worden sei sie in ihrem Kundenprofil zudem als „konservativ, kein Risiko, liquide“. Diese Fonds seien das genaue Gegenteil, empfindet der Bevollmächtigte.
Die Commerzbank beruft sich in dem Fall auf das Bankgeheimnis, gab aber nach Anfragen der WAZ zu verstehen, dass man sich diesen Fall noch einmal genau ansehen wolle. Inzwischen hat sich die höhere Ebene in Frankfurt des Vorgangs angenommen. Für die Familie ist das ein erster Erfolg nach monatelanger Hängepartie: „Ich hatte mich direkt an den Vorstand gewandt und wurde mit Standardschreiben abgefertigt“, klagt der Bevollmächtigte. Angekündigte Rückrufe seien nicht erfolgt.
Geschäfte mit langlaufenden Fonds auch mit älteren Menschen
Thomas Schwarz, Sprecher der Commerzbank für Essen und Mülheim, betont, dass den Kunden stets nur Papiere angeboten würden, die zu dem Zeitpunkt auch als attraktiv und gewinnträchtig anzusehen seien. Eine Garantie auf hohe Gewinne gebe es natürlich nirgends. „Entscheidend bei jeder Anlage ist die individuelle Geschichte des Kunden.“ Es gehe darum: Was will der Kunde? Es sei durchaus möglich, dass er sein Geld auch für die Zeit nach seinem Tod schon verplane und anlege. Das Alter, so Schwarz, verbiete daher solche Geschäfte mit langlaufenden Fonds keineswegs. Und auch, dass die Commerzbank-Mitarbeiter Provisionen für derartige Geschäfte erhielten, treffe nicht zu, sagt Schwarz. Es gebe ein Tarifgehalt – mehr nicht.
Bei solchen Geldanlagen in dem Alter gebe es auch eine hohe moralische Dimension, meint die Leiterin der Mülheimer Verbraucherberatung, Christiane Lersch. Grundsätzlich rät sie bei größeren Geldanlagen, stets andere Banken um eine Meinung zu bitten, weitere Angebote einzuholen. Auch sollte man sich gerade im vorgerückten Alter, so die Verbraucherberaterin, von einem Familienmitglied begleiten lassen. Und: „Bevor etwas in der Bank unterschrieben wird, die Unterlagen mit nach Hause nehmen, in Ruhe lesen und bei Unklarheiten weitere Beratung einfordern.“ Gute Banken würden da nicht „Nein“ sagen.