Mülheim. .
Günter und Ruth Groh sind beide 84 Jahre alt, und das Gehen bereitet ihnen Mühe. Kein Wunder, denn das Paar hat einen langen und streckenweise sehr beschwerlichen Weg gemeinsam bewältigt. Am 8. März 2012 feiern sie Diamantene Hochzeit.
Mitte der 50er Jahre zogen sie mit einer Schar kleiner Kinder nach Winkhausen, sind also Mülheimer Bürger seit langem, doch keiner der beiden ist hier in der Stadt geboren. Günter Groh wuchs in Oberhausen auf, Ruth stammt aus dem Örtchen Thale im Harz. Heute kann man dort im gebirgigen Sachsen-Anhalt „sagenhafte“ Familienferien verbringen. Die Jugendzeit von Ruth Groh verlief, kriegsbedingt, weit weniger märchenhaft. Nach der Schule lernte sie keinen Beruf, sondern verdingte sich als Arbeiterin in einer Holzfabrik: „Wir haben Kisten für Panzerfäuste hergestellt“, erinnert sich die alte Dame.
"Ich habe in der Küche auf einer Couch geschlafen"
Nach dem Krieg entschloss sie sich zur Flucht aus der sowjetischen Besatzungszone, „mein dritter Versuch gelang, ein Bauer hat mir geholfen“. Die junge Frau ging alleine, verbrachte drei Monate in Helmstedt, landete 1949 in Oberhausen, wo sie bei einem Friseur eine Anstellung als Haushaltshilfe und zugleich eine Bleibe fand. Als ihr Freund, den sie aus der Heimat kannte, nachzog, nahm ihr Leben eine weitere Wendung: „Ich wurde schwanger. Er hat mich sitzenlassen“, berichtet sie freimütig. Als sie mit dem Baby, einem Jungen, im Sommer 1951 aus der Entbindungsklinik zurückkam, sei auch ihr Zimmer beim Friseur vergeben gewesen.
Ihr großes Glück, dass eine Frau, die sie zufällig traf, sie samt Säugling aufnahm. Es war die Schwester ihres späteren Mannes. „Ich habe in der Küche auf einer Couch geschlafen.“ Bis Ruth und Günter sich kennenlernten, vergingen einige Monate, bis sie heirateten, einige weitere. Am 8. März 1952 feierten sie ihre standesamtliche Hochzeit in ganz bescheidenem Rahmen: „Nur die Trauzeugen waren dabei. Weil wir kein Geschirr hatten, mussten wir uns Teller und Tassen leihen.“ So habe man im Schein einer Petroleumlampe zusammengesessen.
Eine Familie in einem Zimmer
Auch in den folgenden Jahren musste das junge Paar mit wenig auskommen. Günter Groh arbeitete als Schmelzer in der Friedrich-Wilhelms-Hütte, übrigens 45 Jahre lang. Doch die beiden teilten auch als Verheiratete noch ein einziges Zimmer, selbst als schon zwei weitere Babys hinzugekommen waren. Erst 1955 bekamen sie die Wohnung in Mülheim-Winkhausen, in der sie bis heute leben. Vier gemeinsame Kinder haben die Grohs, Und trotz beengter Raumverhältnisse sind alle zu Hause geboren, direkt in die wachsende Familie hinein. Da man weder Telefon noch Auto hatte, war es Aufgabe des werdenden Vaters, per Fahrrad die Hebamme herbeizuholen. Eine von vielen Episoden, die man sich heute kaum mehr ausmalen kann.
Doch es ist jedes Mal gut gegangen, und so haben die Grohs nun fünf Kinder, acht Enkel und zehn Urenkel (der jüngste ist gerade einen Monat alt), die fast alle zur Diamantenen Hochzeitsfeier kommen, die am Samstag im Gemeindezentrum Engelbertus steigt.
"Ich möchte sie noch als Braut sehen"
Früher sind Grohs gerne spazieren gegangen, Rad gefahren, auch mit den Kindern. Da der Vater in der Gießerei ausnahmslos Frühschicht hatte, konnte die Familie viel unternehmen. Heute fällt beiden das Laufen schwer, sie leiden an den Folgen mehrerer Operationen, Günter Groh hatte ein Schlaganfall. Weil ein Sohn jedoch einen Auto-Anhänger besitzt, werden sie Mitte März ihre Elektromobile einladen und nach Bad Füssing fahren. Es ist ihr 53. Urlaub im bayerischen Kurort.
Zur Diamanthochzeit wünschen sie sich nichts, aber auf längere Sicht schon. Ruth Groh schaut zu ihrer Enkelin Sarah und sagt: „Ich möchte sie noch als Braut sehen.“ Die 23-Jährige ist zwar seit fünf Jahren fest liiert, kann aber keinen baldigen Hochzeitstermin versprechen. So schnell wie zu Omas Zeiten heiraten junge Leute nicht mehr. Die Zeiten haben sich geändert.