Mülheim. Dennis Broszat hat sich Gedanken gemacht, wie man den Bahnhofsvorplatz vor illegalen Sprayern schützen kann

Durch das idyllische Ruhrtal rauscht ein ganz merkwürdiger Zug. Die aerodynamische Form weist ihn eindeutig als ICE aus. Jedenfalls auf den ersten zehn Metern. Dahinter aber mutiert er zum Intercity, um schließlich als SB-Bahn zu enden. In den Fenstern spiegeln sich die Camera Obscura, der Rathausturm und die Stadthalle.

Eine Zukunftsvision mit Realisierungschancen? Nein und ja. Nein, weil es diesen Zug nie geben wird. Ja, weil sich der Graffiti-Künstler Dennis Broszat dieses Motiv gut an den Wänden des Bahnhofsvorplatzes vorstellen kann. Damit könnte, so Broszat, der ewige Kreislauf – weiße Wand, Sprühattacke, weiße Wand, erneute Sprühattacke – durchbrochen werden.

"In der Regel wird ein Graffito nicht von anderen übersprüht"

Broszat, der sich mittlerweile einen weit über die Stadtgrenzen hinausreichenden Namen gemacht hat und demnächst in London und Amsterdam arbeiten wird, greift damit eine Idee der Grünen auf: Statt blödsinnige Kritzeleien immer wieder überstreichen zu lassen, doch ein Graffito in Auftrag zu geben. Das sei am Ende erstens billiger und sehe zweitens auch schöner aus. „In der Regel wird ein Graffito nicht von anderen übersprüht“, weiß Broszat.

Die Probleme blieben bestehen

„Die Stadt weist geeignete Wände zur legalen künstlerischen Gestaltung durch Graffiti aus.“ So steht es in dem am 16. Dezember 2010 beschlossen Kinder- und Jugendförderplan 2010 - 2014. Doch solche Flächen sucht man bislang vergebens. Stattdessen schlägt die Verwaltung vor, den Beschluss zurückzunehmen. Die Begründung: Laut einer Studie der Universität Potsdam werde illegales Sprayen nicht verhindert.

In Gebieten mit offizieller Fläche seien sogar mehr Graffiti zu finden gewesen als in Vergleichsgebieten ohne offizielle Flächen. Der Grund: Da es unter Sprayern verpönt sei, vorhandene Graffiti zu übersprühen, wichen sie auf illegale Flächen in der unmittelbaren Umgebung aus. Ein weiterer Einwand: Legalflächen ermöglichten Anfängern den Kontakt zu bereits straffällig gewordenen Sprayern und somit zur illegalen Szene. Der Finanzausschuss sollte gestern über diese Verwaltungsvorlage beschließen. Dazu kam es aber nicht. Die SPD meinte, die Vorlage sei zuvor erst in anderen Gremien wie den Bezirksvertretungen und dem Jugendhilfeausschuss zu beraten. Auf NRZ-Nachfrage beim Grünen-Fraktionsvorsitzenden Tim Giesbert meinte dieser, dass eine andere Studie als die der Potsdamer womöglich zu einem anderen Ergebnis kommen könnte. „Außerdem sollte man mal darüber nachdenken, bei dem vorgeschlagenen Künstlerhaus an der Meißelstraße Flächen für Sprayer auszuweisen.“

Mit solcherart von Kunsthandwerk am Bau kennt er sich aus. Er hat zum Beispiel die Fassade des SWB-Hauses an der Eppinghofer Straße designt. Beim Altenheim an der Gracht sei er auch aktiv gewesen. „Vor drei Jahren habe ich den Auftrag bekommen, die Mauer am Park hinter dem Altenheim zu gestalten, inklusive Ausbesserungsvertrag, falls was übersprüht werden sollte. Aber bis heute ist da nichts mehr beschmiert worden.“

Was man von vielen anderen Stellen, die immer wieder neu gestrichen werden müssen, nicht sagen kann. „Zum Beispiel der Bereich an der Florabrücke“, auf den ihn Landschaftswächterin Karin Piek vor einiger Zeit aufmerksam machte.

Weiße Wände als Einladung an wilde Sprayer

Eine helle oder sogar weiße Wand und viele Menschen, die daran vorbeigehen oder vorbeifahren, das sei geradezu eine Einladung für wilde Sprayer. „Die machen ihre Tags (Signaturkürzel d. Red.) darauf, damit es ganz viele Menschen sehen.“ Die weißen Wänden am Bahnhofsvorplatz etwa seien ideal. „Man sieht die Zeichen nicht nur von der Straße, sondern auch von den Bahnsteigen und den Zügen aus.“ Auf Ästhetik komme es den Tätern nicht an. „Die betreiben sogenanntes Bombing, also schnelles, auf Quantität ausgelegtes Sprühen.“

Die vorletzte Reinigung kostete die Stadt 4000 Euro. Ein gleiches Schicksal sagt er schon jetzt den gleich um die Ecke angebrachten, cremefarbenen Verkleidungen an der Unterführung der DB-Brücke voraus. „Die werden so nicht lange bleiben.“ Immerhin: Die Verkleidungen sollen sich einfach reinigen lassen. Doch auch das kostet Geld.

Zwei weitere Graffitikünstler haben ihre Dienste angeboten

Kostenlos wäre natürlich auch nicht Broszats Zug-Vision. Für die Gestaltung der vier, insgesamt rund 144 Quadratmeter weißen Fläche würde er, so seine Schätzung, etwa zweieinhalb Wochen benötigen. Vielleicht auch etwas weniger, wenn eine Teilfläche, wie es die SPD-Stadtmitte vorschlägt, begrünt würde. „Das könnte man mit in so eine Arbeit einbeziehen“, sagt Broszat.

Die Grünen, so ihr Fraktionsvorsitzender Tim Giesbert, werden jedenfalls die Idee, Wandbeschmierern mit legalen Graffiti zu begegnen, weiter verfolgen. Neben Broszat hätten sich mittlerweile auch noch zwei andere Graffitikünstler gemeldet und ihre Dienste angeboten.

Einen Haken hat die Sache allerdings: Die Sache muss mit dem Eigentümer der Immobilie besprochen werden – also der Deutschen Bahn. Und die hat’s nicht eilig. Wie viele Jahre hat es gedauert, bis das Bahnhofsgebäude saniert wurde?