Mülheim. . Die Zahl der Mülheimer Minijobber hat sich in den letzten zehn Jahren beinahe verdoppelt. Die meisten von ihnen sind Frauen. Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung kritisiert Minijobs als „arbeitsmarktpolitischen Irrweg“.
Fünf Jahre lang zog Natascha S. ihren Sohn auf, jetzt, wo dieser im Kindergartenalter ist, will die 23-Jährige eine Ausbildung machen. Am liebsten würde sie Tierarzthelferin werden. Doch es ist nicht einfach für S., die vor neun Jahren aus Russland kam und ihren wahren Namen nicht nennen will. Die Hauptschule hat sie geschafft, als Bürohilfe gearbeitet und auch ihr Deutsch ist gut. Was ihr fehlt ist eine Chance. Den Einstieg in das Berufsleben soll ihr jetzt ein Minijob erleichtern.
Ausgerechnet, würden Kritiker sagen. Erst vor kurzem mahnte eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung die prekären Erwerbsverläufe an, die gerade Frauen in Minijobs durchleben: Gerade einmal neun Prozent der Minijobberinnen arbeiteten anschließend auf einer Vollzeitstelle.
Bis zu 400 Euro Zuverdienst per Minijob möglich
Bis zu 400 Euro kann man mit Minijobs brutto für netto hinzuverdienen, der Arbeitgeber zahlt eine Pauschalabgabe zur Sozialversicherung. Und dennoch ist er auch in der Ruhrstadt voll im Trend: Die Zahl der Mülheimer Minijobber hat sich in den letzten zehn Jahren beinahe verdoppelt. 16 430 zählte die Bundesagentur im Juni 2011 gegenüber 9505 im Juni 2001, und auch hier sind es überwiegend Frauen (64,7 Prozent), die ausschließlich in einer geringfügig entlohnten Beschäftigung arbeiten.
Minijob als erste Orientierung
Die Gründe können vielfältig sein, sagt Katrin Gellenbeck, Arbeitsvermittlerin im Jobcenter, „zum Beispiel, wenn Frauen nach langer Erziehungsphase wieder im erlernten Job Fuß fassen wollen.“ Der Minijob biete auch im Fall von Natascha S. „eine gute Orientierung“, glaubt die Arbeitsvermittlerin, „man kann die Wunschberufsfelder kennenlernen, fachgerechte Erfahrungen machen und erste Kontakte knüpfen.“
Mit welchen beruflichen Voraussetzungen man eine geringfügige Beschäftigung ergreift, ist allerdings in den seltesten Fällen bekannt: Bei 70 Prozent der Minijobber wurde die Berufsausbildung gar nicht erfasst, von 11,9 Prozent weiß man, dass es keine gibt und der Anteil der Akademiker ist mit 1,4% gering.
Die meisten Minijobs gibt es in Dienstleistungsberufen
Die Ausbildung scheint bei Minijobs kaum eine Rolle zu spielen: Die meisten in Mülheim sind ohnehin in Dienstleistungsberufen (85,2 %) zu finden, die auch ungelernten Jobsuchern einen schnellen Einstieg ermöglichen. „Gute Chancen hat man als Verkäufer im Einzelhandel, Reinigungskraft, in der Gastronomie und als Alten- und Krankenpfleger“, sagt Gellenbeck.
Gerade einmal 11 % der Minijobs gibt es hingegen in Fertigungsberufen, die eine Ausbildung benötigen und am wenigsten in den akademischen Technischen Berufen.
"Bessere Chancen für Ausbildungsstellen"
Männer ziehen übrigens mit Frauen nur dann gleich, wenn sie neben dem Hauptberuf noch etwas hinzuverdienen müssen, um sich und ihre Familie zu ernähren. Aus der „Chance“ für Jobsuchende, ist in manchen Berufssparten eine Not geworden. „Friseure verdienen häufig nicht sehr viel“, nennt Katja Hübner, Pressesprecherin der Agentur für Arbeit in Mülheim, ein Beispiel. Bei ihnen sei der Minijob zum Hauptberuf häufig nicht nur beliebt, sondern auch notwendig.
Dass diese auch bedenkliche Entwicklungen zur Folge haben, will der Pressesprecher des Oberhausener Jobcenters Josef Vogt nicht verschweigen: „Es gibt Branchen, etwa der Einzelhandel oder das Reinigungsgewerbe, in denen Arbeitsverhältnisse aufgespalten werden, um damit längere Arbeitszeiten zu erreichen.“
Natascha S. sieht dennoch eine bessere Chance für eine Ausbildungsstelle, wenn sie sich aus einem Minijob heraus bewirbt: „Ich schaffe das“, sagt die 23-Jährige optimistisch. Und wenn es mit dem Traumberuf „Tierarzthelferin“ nicht klappt, könnte sie sich auch vorstellen als Kosmetikerin oder Friseurin anzufangen. Arbeitgeber, die ihr eine Chance geben möchten, können sich an Katrin Gellenbeck im Jobcenter Oberhausen wenden unter 41 00 661.
"So baut sich kein sozialer Schutz auf"
Chance oder Sackgasse? Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung kritisiert Minijobs als „arbeitsmarktpolitischen Irrweg“. Die so Beschäftigten würden häufig niedriger bezahlt und haben keinen eigenen Anspruch auf Krankenversicherung und Rente.
Für Rainer Hanisch vom Mülheimer Arbeitslosenzentrum (Malz) vernichtet der Minijob Vollzeitarbeitsplätze: „Arbeitgeber im Einzelhandel“, führt Hanisch als Beispiel an, „haben mehr Arbeitskräfte und können damit günstig längere Öffnungszeiten ermöglichen. Jemand, der nur vier Stunden arbeitet, ist zudem noch leistungsfähiger als ein Vollzeitbeschäftigter.“
Statistisch gesehen, liegt Hanisch damit nicht falsch. Zwar ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in zehn Jahren insgesamt „nur“ um etwa 1500 gesunken, doch am deutlichsten im Bereich der Vollzeit. Hier gibt es heute 3000 Beschäftigte weniger als noch 2001. Die Teilzeitarbeit legte hingegen um fast 900 zu, Minijobs um 7000.
„So baut sich kein sozialer Schutz auf“, kritisiert der Mann vom Malz. Dass ein Minijob in eine volle Stelle gewandelt würde, hat er noch nicht erlebt: „Die meisten machen es nicht aus Spaß, sondern weil sie es müssen.“