Mülheim.

Die letzten veröffentlichten Zahlen der Agentur für Arbeit sprechen in der offiziellen Statistik-Lesart von 2273 Mülheimern über 50 Jahren, die arbeitslos sind. Damit ist mehr als jeder dritte Arbeitslose in Mülheim älter als 50 Jahre. Durch die stufenweise Einführung der Rente mit 67, befürchtet das Mülheimer Arbeitslosenzentrum, erhöht sich das Armutsrisiko für diesen Personenkreis zusätzlich.

Die offizielle Zahl von 2273 Mülheimer Arbeitslosen im Alter zwischen 50 und 65 Jahren spiegelt dabei nicht mal die korrekte Dimension der Arbeitslosigkeit im Alter wieder. So sind in dieser Zahl keine Erwerbslosen in Maßnahmen der Agentur erfasst, ebenso haben Hartz-IV-Klienten die Möglichkeit, sich ab dem 58. Lebensjahr von allen Aktivitäten des „Förderns und Forderns“ freistellen zu lassen, wenn ihnen zuvor mindestens ein Jahr lang kein Jobangebot unterbreitet werden konnte. Sie werden dann auch nicht mehr als arbeitslos im Sinne der Statistik angesehen. Wie viele Mülheimer auf diese Art aktuell aus der Arbeitslosenstatistik wegretuschiert sind, ließ sich gestern nicht in Erfahrung bringen. Der Agentur für Arbeit liegen keine Zahlen der Mülheimer Hartz-IV-Behörde vor. Deren Leitung ist erst am Mittwoch wieder im Dienst.

Mit 50 hilft nur ein Wunder

Menschen sollen länger arbeiten, doch finden die Älteren überhaupt eine Arbeitsstelle? „Mit 50 ist es ein Wunder, wenn man noch einen Job bekommt“, sagt Rainer Hanisch, der als ehemaliger Leiter immer noch ehrenamtlich für das Mülheimer Arbeitslosenzentrum (Malz) tätig ist. Schon bei 40-jährigen Bewerbern, so seine Erfahrung, würden Arbeitgeber „schon angesäuert gucken“. Man müsse nur nach Siemens schauen. „Vor ein paar Jahren haben sie dort alle Ingenieure über 45 rausgedrängt, Jahre später schreien sie nun: Uns fehlen Ingenieure!“

Hanisch nimmt einen CNC-Dreher (45) aus seiner Betreuung zum Beispiel für schlechte Chancen älterer Arbeitnehmer am Markt. Nach vier Monaten intensiver Suche sei noch kein Job in Sicht. Selbst ein Arbeitgeber, bei dem seit einem Jahr eine Stelle unbesetzt sei, habe abgewunken. Es sei ihm zu viel Aufwand, den 45-Jährigen drei, vier Wochen an der Spezialmaschine anzulernen. Hanisch kann nicht erkennen, dass der zunehmend beklagte Fachkräftemangel Chancen für Ältere bringt. „Das ist eine riesige Blase!“

Das "alte Eisen"

Chancen sieht hingegen Martin Jonetzko, stellvertretender Geschäftsführer der Unternehmerverbandsgruppe. Die Arbeitgeber der Region seien längst nicht mehr gewillt, Frühverrentungsprogramme für Fachkräfte und Ingenieure aufzulegen. „Es hat ein grundsätzliches Umdenken stattgefunden“, so Jonetzka. Bewerber über 40 würden längst nicht mehr zum „alten Eisen“ gezählt, Arbeitgeber schätzten ihre Berufs- und Lebenserfahrung, ihre Gelassenheit und Zuverlässigkeit. Programme der Arbeitsagentur zur Reintegration älterer Arbeitnehmer in die Berufswelt zeichneten sich durch einen hohen Klebeeffekt aus. Branchen, die schon jetzt verstärkt ältere Arbeitskräfte einstellen, konnte Jonetzko gleichwohl nicht benennen. So nah sei die Verbandsgruppe nicht an der Einstellungspraxis der Unternehmen dran.

Jüngere kosten weniger

Die Arbeitsagentur verweist auf die positive Entwicklung bei den Zahlen zur sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung von älteren Arbeitnehmern in Mülheim. Nach den aktuellsten Zahlen waren zum Stichtag 30. Juni 2011 in Mülheim 15.416 Menschen jenseits der 50 sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Vor 25 Jahren waren es nur 12.741 und damit 17,4 % weniger. Allerdings zeigt hier auch die Demografie Wirkung.

Zu den Chancen älterer Arbeitnehmer in Zeiten eines Fachkräftemangels äußert sich Agentur-Sprecherin Katja Hübner vorsichtig: „Wir haben mit 684 freien Stellen im November ein hohes Stellenpotenzial und merken, dass Ältere mit guter Qualifikation gerne genommen werden.“ Indes gelte auch: „Haben Bewerber die gleichen Qualifikationen, nehmen Firmen den jüngeren. Weil er weniger kostet.“