Mülheim.
Fracking bedeutet knacken. Gemeint ist das Aufbrechen von unterirdischen Gesteinsschichten, um dadurch Erdgas an die Oberfläche zu fördern. Ein kompliziertes, aufwendiges und nach Meinung vieler Experten ein sehr gefährliches Unterfangen. In Mülheim wehrt sich das erste Aktionsbündnis im Ruhrgebiet gegen diese Methode am Ort, in der Region, im Land. Es ist eine der größten Initiativen, die sich je gegründet hat.
Alle Bürgervereine links der Ruhr machen mit, die Umwelt- und Naturschutzverbände mischen mit, Klimainitiativen schalten sich ein, und im Rat der Stadt wurde einstimmig eine Resolution verfasst: Hier nicht! Alle eint die Angst vor allem davor, dass durch Fracking das Grund- und damit das Trinkwasser geschädigt werden könnte und damit eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit der Menschen gegeben ist. Es ist, wie Prof. Erhard Mohr sagt, nur ein Risiko von vielen, gerade im Ruhrgebiet, dass durch den Bergbau schon genug Ewigkeitslasten zu bewältigen hat.
Wie geht es weiter?
Mit Prof. Mohr, der unter anderem auch Mitglied im Wirtschaftsrat Deutschland ist, verfügt Mülheim über einen der führenden Experten auf dem Gebiet der Bergbau-Forschung. Er ist derzeit ein gefragter Mann. Heute Abend referiert er vor mehreren Ortsvereinen der CDU, nächste Woche ist er Referent bei einer Diskussionsveranstaltung, zu der die Grünen Vertreter aller Bundestagsfraktionen geladen haben, um zu erfahren: Wie geht es weiter?
Die Forderung ist eindeutig: Kein Fracking und: Wenn Fracking, dann müsse eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorher Pflicht sein. In dem Fall, ist Dr. Wolf-Jürgen Richter (Grüne) sicher, würden sich alle Unternehmen von diesem Verfahren freiwillig verabschieden.
Wie ernst ist die Gefahr? Aktuell hat sich die Firma Wintershall ein so genanntes Aufsuchungsfeld entlang des Ruhrverlaufs vom Sauerland bis an die holländische Grenze gesichert. Betroffen wäre davon auch der komplette Mülheimer Süden. An fünf Standorten will jetzt Wintershall, der größte deutsche Erdöl- und Erdgasproduzent, Erkundungsbohrungen durchführen. Wo, so Mohr, werde bewusst nicht gesagt. Unter Auflagen dürfen diese Bohrungen stattfinden. Probebohrungen nach Gas sind jedoch in NRW derzeit verboten. In Niedersachsen dagegen will Exxon-Mobile Probebohrungen starten.
Kein Gas-Engpass in Sicht
So weit, da ist sich die Mülheimer Aktionsgemeinschaft einig, dürfe es im Ruhrgebiet nie kommen. Doch gerade hier könnte es aus geologischer Sicht für Energieunternehmen eines Tages attraktiv sein: „Wenn es sich lohnt und sie dürfen, machen sie es“, fürchtet Mohr. Dabei sieht er keine Notwendigkeit. Von einem Engpass in der Gasversorgung sei Deutschland weit entfernt. Angesichts des Ausbaus alternativer Energien drohe eher ein Überangebot. Und: Von dem auf rund 500 Milliarden Kubikmeter geschätzten Gasvorkommen ließen sich ohnehin unter hohem technischen Aufwand höchstens fünf bis 20 Prozent gewinnen, so Mohr im Gespräch mit der WAZ.
Dafür müsse man aber viel riskieren, sagt der Bergbauingenieur und setzt den Beteuerungen der Energieunternehmen, die ein hohes Maß an Sicherheit versprechen, zahlreiche Gutachten entgegen, die eine Brisanz nicht verhehlen. Denn zum Fracking müsse der Trinkwasserhorizont durchschritten werden, es müsse gerade im Ruhrgebiet in eine Geologie eingedrungen werden, die von Hohlräumen, Rissen und Spalten durchzogen sei. Da beim Fracking mit einem gefährlichen chemischen Mix in Tiefen bis 4000 Metern gearbeitet werde, sei unkalkulierbar, was eines Tages mit all den Stoffen passiere. Deren Verbreitung sei nicht zu beherrschen.
Denn, so Mohr, nur ein kleiner Teil des chemischen Cocktails werde wieder nach oben geholt, wo bei der Entsorgung die nächsten Probleme entstehen. Der Rest bleibt in den Tiefen und komme eines Tages, vielleicht erst in einigen hundert Jahren nach oben. Zu den chemischen Risiken kämen die mechanischen. Durch die hohen Drücke beim Fördern würden sich Spalten vergrößern, Schichten verschieben, ja, so Mohr, es finde so etwas wie ein kleines Erdbeben statt. „Meine Urenkel würde mich verfluchen, wenn wir nicht jetzt davor warnen und uns wehren.“