Mülheim. Richter Bernd Fronhoffs berichtet von seiner 20-jährigen Erfahrung: Drohende Haft beeindruckt Straftäter nur noch wenig

Eigentlich müsste man gegen jugendliche Gewalt viel früher vorgehen, ehe sie sich entlädt und als strafbares Delikt zum Richter gelangt, wandte eine Zuhörerin ein, als Richter Bernd Frohnhoffs gestern im Katholischen Stadthaus über Erfahrungen mit jugendlichen Straftätern berichtete. Es wäre schon ein Fortschritt, wenn Vormund- und Familiensachen bei Gericht in derselben Hand lägen wie die Jugendkriminalität.

Mit ‘normalerweise’ oder ‘eigentlich’ könnten bei diesem Thema viele Sätze beginnen. Etwa, dass die Strafe auf dem Fuße folgen sollte, tatsächlich aber zwischen Tat und Haftantritt locker neun Monaten verstreichen, so dass der Verurteilte nur mühsam einen Zusammenhang nachvollziehen könne und die angestrebte Abschreckung ihr Ziel verfehle. Allein zwischen Urteil und Haftantritt vergehen drei Monate.

Zu wenige Arrestplätze

Wie gering diese Abschreckung ist, hat Fronhoffs erst kürzlich erfahren. Unangenehme Erfahrungen würden eben rasch verdrängt und erschienen im Abstand dann gar nicht so negativ. Ein Jugendlicher, der drei Monate in Untersuchungshaft gesessen hatte, bekam eine Strafe auf Bewährung und konnte nach einigem Hin und Her doch wieder bei seiner Großmutter wohnen, die er zuvor bestohlen hatte, erzählte der 63-jährige Richter. Aber der Jugendliche verübte dann doch wieder eine Straftat. Als er ihn fragte, warum?, zuckte der nur mit den Schultern. „Sie dürfen sich nicht vorstellen, dass Sie mit den Angeklagten über ihre Situation leicht in ein Gespräch kommen“, erklärte Fronhoffs.

Aus seiner Erfahrung ließen sich Jugendliche auch mit einer Androhung eines zwei- oder vierwöchigen Dauerarrestes nicht mehr beeindrucken und zu einer fristgerechten Ableistung von Sozialleistungen bewegen. Obwohl so ein Arrest keineswegs zum entspannten Abhängen einlade. Das Problem sei, dass es weiterhin viel zu wenig Arrestplätze gibt und es auch hier drei Monate dauere.

Straftat als Episode

Und dass die Eltern ihr Kind zum Prozess begleiten, um ihm damit zu einem Pluspunkt zu verhelfen, dürfe man sich heute auch nicht mehr als Selbstverständlichkeit vorstellen, ergänzte Kriminalpolizist Marc Krobok. „Viele kommen aus zerrütteten Verhältnissen und bekommen von zu Hause keinerlei Unterstützung, sind dafür aber sehr selbstständig.“ Wenn Eltern mitkommen, dann bitten sie schon mal den Richter, dafür zu sorgen, dass ihr Kind künftig in die Schule geht. Wer zuschlägt, sei auch meist nicht so clever. Gymnasiasten seien bei den Tätern die Ausnahme, dafür seien sie bei Drogendelikten stärker vertreten.

Jede dritte Tat: Raub

Laut Polizeistatistik geht etwa ein Viertel der Taten auf Menschen unter 21 Jahren. Besonders gravierend sind sie bei Gewaltdelikten wie Straßenraub (75 Prozent), Raub (über 50 Prozent) und schwerem Diebstahl (40 Prozent) vertreten.
Bei Bernd Frohnhoffs am Amtsgericht ist jeder dritte Fall ein Raub, der mit nicht unter einem Jahr Freiheitsstrafe geahndet wird. Seit der Polizeifusion gibt es Jugendkontaktbeamten, die präventiv wirken.

Immer wieder habe er es in seiner 20-jährigen Erfahrung erlebt, dass Außenstehende ein Urteil als zu mild einstufen. Doch beim Strafmaß sei vieles zu berücksichtigen. Vor allem müsse im Gegensatz zum Erwachsenenstrafrecht der Erziehungscharakter gesehen werden. Um das zu betonen, stehe dem Richter immer eine Frau und ein Mann als Schöffe zur Seite. Mit einem Vertreter der Jugendgerichtshilfe, der mit ihnen Gespräche führt und den familiären Hintergrund ausleuchtet, haben sie auch einen Fürsprecher an ihrer Seite.

Ein „knackiges Urteil“ helfe wenig. Der Anwalt gehe in Berufung und das Urteil werde vom Landgericht wieder kassiert. Normalerweise lande ein Jugendlicher nach mehreren Wiederholungstaten im Gefängnis. Sie sollen erkennen, dass sie den falschen Weg eingeschlagen haben. Und die meisten sind auch Einzeltäter, wo die Straftat Episode bleibt. Der Makel werde dann auch später aus dem Register getilgt.

Den Rettungsanker werfen

Vor einigen Tagen habe es ein 15-Jähriger aber fast direkt geschafft. Wegen mehrerer Raubdelikte und Einbrüchen verurteilte Fronhoffs ihn zu einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung. Kurz darauf sei herausgekommen, dass der Jugendliche bereits vor der Verurteilung mit einer Sturmhaube maskiert und einer Spielzeugpistole bewaffnet einen Kiosk überfallen hatte und nach der Urteilsverkündung ein Handy raubte. Unterm Strich kamen zwei Jahre und sechs Monate (ohne Bewährung) heraus. „Das sind dann wesentliche Zeiten der Entwicklung, die dann fehlen“, sinnierte Fronhofs.

Wenn jemand elf Monate auf Bewährung bekommt und dann beim Schwarzfahren erwischt wird, müsste man streng genommen die Bewährung widerrufen. „Aber lohnt es sich für 1,60 Euro jemanden ins Gefängnis zu schicken?“, fragte Frohnhoffs. Den Rettungsanker, wie er es nennt, wirft er in einem solchen Fall, indem er Arrest verhängt, sofern das noch möglich ist, oder indem die Bewährung erhöht wird. Das könne aber leicht zu der irrigen Annahme führen: Wenn es einmal mit der Bewährung geklappt hat, geht es auch beim nächsten Mal gut.