Mülheim.
Beten zwischen Brunch und Bowling konnten Gläubige am vierten Adventssonntag im Rhein-Ruhr-Zentrum: Bereits zum siebten Mal tauschte die Heißener Gemeinde ihre evangelische Friedenskirche gegen den Festival-Garden und lud dort zum Familiengottesdienst – ein Kontrastprogramm, das man mögen muss.
Ob Kirchenbank oder Fressmeilen-Stuhl, einige Sachen gehören einfach zum Festgottesdienst: „Tut mir leid, ich halte diesen Platz frei.“
Halb elf, und die Tische im Zentrum des Festival-Gardens sind schon fast belegt. Deshalb werden fleißig Stühle gerückt. Aus dem hinteren Bereich werden Sitzgelegenheiten angeschleppt. Andere holen sich Barhocker und gesellen sich zu Bekannten – oder eben so weit nach vorn wie möglich.
Gottesdienst mit viel Musik
Die Stimmung ist bestens, hat ein bisschen was von Volksfest. Die umliegende Gastronomie nutzen eine ganze Reihe, die meisten gehen mit einem Pappbecher Kaffee in den Gottesdienstbeginn, einige stärken sich mit einem Sandwich. In den hinteren Reihen gibt’s auch Bier.
Ganz vorne macht sich Pfarrer Michael Manz bereit. Ein Gottesdienst in einem Einkaufszentrum, ist das kein Widerspruch? „Nein“, sagt der Pfarrer bestimmt. Hier sind die Menschen, also geht er zu ihnen hin. „The Gospel Family of Christ“ steht schon auf einem Podest bereit. In diesem Familiengottesdienst ist viel Musik drin, und er beginnt pünktlich.
Keine lange Predigt
„Schrille Nacht!?“ hat Pfarrer Michael Manz die folgenden 75 Minuten überschrieben. Das Bierernste, Getragene ist nicht seine Sache, er mag das Lockere – und das zeigt sich sofort. Schon die Begrüßung im Plauderton verweist auf die Baustellen der Stadt.
Im Gottesdienst selbst geht es um Engel. Auf eine lange Predigt verzichtet er. Stattdessen spricht er öfter, kürzer: Lässt einen Engel, der nicht in der Weihnachtsgeschichte vorkommt, zu Wort kommen, erzählt die Legende von „entsetzten Engeln“. Dies ergänzt er durch ein Anspiel. In dem sucht er im weißen Anzug mit goldenem Revers den „Superengel“. Turboengel Thea, Gelber Engel Gerd, Oberlandeskirchenengel Grazia und Wunschengel Klaus zeigen sich und stellen sich zur Wahl. All dies sind nur kurze Gedankenanstöße. Im Gottesdienst ist Tempo.
Improvisierter Altar
So erwähnt Manz die Kritik von Margot Käßmann, die in der vergangenen Woche befand, die Kirche dürfe sich nicht an moderne Feierkultur anbiedern. „Was hätte Margot Käßmann wohl zu diesem Gottesdienst gesagt: zu schrill, zu flott, zu innovativ?“, fragt Manz, um dann einen Satz weiter bei der Gema und Gebühren für Weihnachtslieder zu sein. Alltagstaugliche Themen, alle nur angerissen, die wohl auch im Einkaufszentrum taugen.
Denn das Rummelige der Mall ist Teil des Gottesdienstes. Ein Restaurant hat Sonntagsbrunch aufgefahren, in den hinteren Reihen, weit entfernt vom improvisierten Altar mit den brennenden Kerzen, hört man das Klappern des Bestecks, das Plaudern der Bruncher teils deutlicher als den Pfarrer. Immer aber bleibt es ein irritierendes Hintergrundgeräusch, das selbst der stimmgewaltige Gospelchor nicht übertönen kann. Liedklassiker stimmt der an, auch die Mall-Gemeinde singt kräftig mit: „Herbei, o ihr Gläub’gen“, „Macht hoch die Tür“, „Engel auf den Feldern“, „O du Fröhliche“, „Go tell it on the mountain“ sind vertreten.
Auch „Stille Nacht“ erklingt im Festival-Garden. Ein Vater nutzt den Moment, seinem Sohn ein Eis zu spendieren. Sorte: blauer Engel.