Mülheim. .
Die Politikverdrossenheit, auch die Verdrossenheit über behördliches Handeln ist groß. Um Bürger wieder mehr für Entscheidungen zu gewinnen, die die Stadtgesellschaft betreffen, versuchen Stadtverwaltung und Parteien wie zuletzt die SPD neue Wege einzuschlagen. Partizipationsmöglichkeiten werden angepriesen, selbstredend sollen Bürger allerorts mit ihren Anliegen auf offene Ohren stoßen. Wie steht’s um die Charmeoffensive von Verwaltung und Politik? Eine Zusammenschau der WAZ.
Aktuell nimmt die Debatte um die Zukunft des Nahverkehrs Fahrt auf. Die Verwaltung hat ihr Konzept vorgelegt, will Buslinien ändern, das Straßenbahnnetz verkleinern. Auch die Grünen, die MBI und die frisch formierte Mannschaft der Piratenpartei haben ihre Ideen präsentiert.
Die Piratenpartei fordert Bürger nun ausdrücklich auf, sich in die Debatte einzuschalten. Das Piraten-Konzept ist im Internet unter www.piratenpartei-muelheim.de/oepnv einsehbar, jetzt sollen Bürger Fragen dazu stellen können. Ihre Antworten darauf wollen die Piraten schließlich veröffentlichen. Der Bürger soll Geschmack am Mitdebattieren bekommen. Transparenz als oberste Devise.
Nahverkehrskonzept wird öffentlich
Auch die Verwaltung wagt sich mit ihrem Nahverkehrskonzept in die Öffentlichkeit. Sie will in der Woche ab dem 21. November in allen drei Stadtbezirken Bürgerversammlungen abhalten, um Interessierten die Möglichkeit zu geben, sich einzuschalten. Damit betritt sie kein Neuland. Schon im Vorjahr gab es Bürgerversammlungen zur Haushaltsdebatte, immerhin kamen so 106 Vorschläge zusammen. Die Wiederholung in diesem Jahr brachte allerdings das ernüchternde Ergebnis von nur mehr fünf Bürgervorschlägen, die die Verwaltung für brauchbar erachtet.
Wieder eine andere Baustelle: Aktuell und bis Ende dieser Woche ist im Internet ein Bürgerforum zur Lärmaktionsplanung geschaltet. Über einen Mangel an Beteiligung kann die Stadt nicht klagen. 99 Hinweise auf Lärmbrennpunkte, Anregungen und Forderungen waren bis gestern Mittag eingegangen. „Immer wenn die persönliche Betroffenheit von Bürgern groß ist, ist auch die Beteiligung groß“, bringt es Stadtsprecher Volker Wiebels auf eine einfache Formel.
Bürger müssen mehr Interesse zeigen
Das sieht Bezirksbürgermeister Arnold Fessen (CDU) genauso: „Der Bürger muss in irgendeiner Form berührt sein, dann ist er da.“ Das zeigten etwa Bürgerinitiativen gegen Bebauungspläne an der Tilsiter und Mendener Straße. Insgesamt aber, findet Fessen, herrsche Mangel. Daran, dass Bürger ihre Ideen in politische Entscheidungsfindungsprozesse einbringen. Die Bürgersprechstunde der Bezirksbürgermeister jedenfalls findet mangels Nachfrage nicht mehr regelmäßig, sondern nur mehr auf konkrete Anforderung von Bürgern statt.
„Ein bisschen hilflos“ sei man als Kommunalpolitiker schon, sagt Fessen. Einerseits wolle man Entscheidungen treffen, die nahe an den Interessen der Bürger seien. Andererseits kapselten sich Bürger immer mehr ab, vielen fehle auch die Bereitschaft, für andere etwas mitzutun. Obwohl: Bei Sitzungen der Bezirksvertretung seien ja doch zumeist Bürger mit von der Partie.
Fessen will regelmäßige Bürgerversammlungen
Eine gute Einrichtung sei auch die frühzeitige Beteiligung von Betroffenen in Bebauungsplanverfahren. Das, so Fessen, gelte es zu pflegen: „Man sollte nicht erst nachher informieren, das hat sich als der falsche Weg erwiesen.“ Vielleicht sollte es regelmäßige Bürgerversammlungen geben, wo Verwaltung und Politik Rede und Antwort stehen. In Essen hat die SPD Videoübertragungen von politischen Sitzungen im Internet ins Spiel gebracht. „Da hätten wir nichts gegen“, sagt Fessen.
Sein Kollege links der Ruhr, Gerhard Allzeit (CDU), setzt darauf, ohne Einschränkung für Bürger ansprechbar zu sein, selbst an Wochenenden, abends. „Die meisten Bürger, die etwas wollen, rufen mich an“, sagt das Urgestein der Kommunalpolitik. Aber auch Allzeit sieht Mängel: Zwar sei jede Sitzung politischer Gremien öffentlich, doch werde im Vorfeld zu wenig kommuniziert, welche wichtigen Themen anstünden. Von Bürgerforen, etwa zum Haushalt, hält Allzeit nicht viel.
Otto Normalbürger könne den mehr als 1000-seitigen Etatentwurf gar nicht durchblicken. Interessanter seien da schon die Workshops zur Stadtentwicklung, die es nun in Broich und Speldorf gebe. „Da haben Bürger eine konkrete Vorstellung, was passieren soll.“
Angebote der Parteien:
SPD: Sie richtet zurzeit Themenforen ein, in denen auch Nichtmitglieder inhaltlich mitgestalten können sollen. Gleiches gilt für die „Kommunalwerkstadt“, die es demnächst in jedem Stadtteil geben soll.
CDU: Sie lässt ausgewählte Bürger auch mal auf Parteitagen oder in Arbeitskreisen zu Wort kommen und pflegt eine Kartei mit Kontakten zu Bürgern, die Interesse an CDU-Veranstaltungen haben.
MBI: Die MBI-Zentrale am Kohlenkamp ist seit jeher Anlaufstelle für Bürgeranliegen. Die Fraktionssitzungen (immer montags) stehen Nichtmitgliedern offen. Die MBI animieren dazu, Bürgeranfragen zu stellen und unterstützen bei der Bildung von Bürgerinitiativen.
Grüne: Fraktionssitzungen sind öffentlich. Bürger werden zu Arbeitskreisen eingeladen, die Grünen machen Veranstaltungen zu brisanten Themen (etwa zum Fracking).
FDP: Auch die FDP bietet Informations- und Diskussionsveranstaltungen (zuletzt zur Dichtheitsprüfung). Arbeitskreise stehen auch Nichtmitgliedern offen. Aber wer dauerhaft mitmachen will, dem wird auch die Mitgliedschaft nahegelegt.
Wir-Linke: Die wöchentliche Fraktionssitzung mit Schwerpunktthema und Mitgliederversammlungen sind öffentlich, auch der monatliche Stammtisch am Löhberg 74 steht Bürgern offen.