Mülheim. .
„Es gibt viele Kopftuchträgerinnen, die schämen sich, das zu machen“, weiß Kevser Sahin. Sie selbst aber schämt sich nicht und sieht auch keinen Grund dazu. Sie tut es mit hoch erhobenem Haupt samt Kopftuch – und Helm. An der Astrid-Lindgren-Grundschule fand nun erstmals ein Radfahrkurs nur für Frauen statt. Und die meisten der Teilnehmerinnen saßen vorher noch nie auf einem Fahrrad.
Pylone weisen die Strecke. Einmal rund geht es auf dem Schulhof, immer einen weißen Streifen entlang, der den Bürgersteig markiert. Gülbeyaz Kücük sitzt als erste auf, tritt kräftig in die Pedale und ist schon an der ersten Kurve. Mit Handzeichen biegt sie rechts ab und drosselt gleich das Tempo, um im (langsamen) Vorbeifahren einen Ball auf der vorgegebenen Fläche zu platzieren. „Schnell fahren ist nicht das Problem“, weiß Franz Hergarten von der Verkehrssicherheitsberatung der Polizei, „langsam zu fahren ist, ist die Kunst.“ Denn dazu braucht es Gleichgewichtssinn.
Hemmschwellen überwinden
Acht Unterrichtsstunden hatten die Mütter Zeit, zu lernen, wie man am besten die Balance hält. Und um, wie Franz Hergarten sagt, „Hemmschwellen zu überwinden“. Die Idee dazu entstand im Elterncafé der Astrid-Lindgren-Grundschule, das mit dem Stadtteilmanagement Eppinghofen angeboten wird. Denn kurz vor der Fahrradprüfung, erinnert sich Konrektorin Angelika Wolfsheimer, „stellten wir fest, dass viele Kinder nicht geübt hatten“. Die Begründung der Schüler: Mein Vater hatte keine Zeit, und die Mutter konnte nicht helfen. Das, so der Plan, sollte sich ändern.
Mit der Verkehrssicherheitsberatung der Polizei und der Radstation waren schnell Partner gefunden, die den Kurs ermöglichten. Zudem unterstützte RWW das Projekt finanziell. Verschiedene Partner sind dies, die das Projekt aus unterschiedlichen Gründen befürworten. Polizeihauptkommissar Franz Hergarten hat vor allem die Verkehrssicherheit im Blick und die Vorbildfunktion der Mütter für ihre Kinder. Deshalb gehörte natürlich auch ein Theorienachmittag zum Kurs. Carsten Voß von der Mülheimer Radstation weist auf ökologische Aspekte von Fahrradfahren hin.
Ein Baustein zu mehr Teilhabe am gesellschaftlichen Leben
Und für Stadtteil-Koordinatorin Dr. Sonja Clausen ist der Kurs ein Weg zu mehr Mobilität, mehr Selbstständigkeit und mehr Selbstbewusstsein für die Frauen. Denn für eine Frau mit Kopftuch gehöre Mut dazu, sich auf ein Rad zu setzen. „Wir lernen immer mehr, dass die Arbeit mit Eltern viele Wege gehen muss“, sagt Sonja Clausen. Radfahren zu können, sei somit nur ein Baustein zu mehr Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
Und die Damen, warum wagten sie sich aufs Rad? Um ihrer Tochter ein gutes Vorbild zu sein, sagt Kevser Sahin. Allerdings hat sie Sorge, ob sie sich in den normalen Verkehr traut. „Da muss man schon sehr sicher sein.“ Auch Gülbeyaz Kücük wird sich wohl kein eigenes Rad zulegen. „Wenn eine Frau mit Kopftuch fährt, reagieren die Leute oft schlecht.“ Da fällt es schwer, sich nicht aus dem Gleichgewicht bringen zu lassen.