Mülheim. .
„Ich habe nie wirklich über Ausbildungsberufe nachgedacht.“ So wie Sunnyi Mews (18) geht es vielen Abiturienten des Gymnasium Heißen. Für viele gilt das Prinzip: Wenn schon Abitur, dann auch Studium!
Das Landesamt für Information und Technik bestätigt, dass die Zahl der Studienanfänger aus NRW, die auch im Land studieren, seit 2008 um circa 7000 gewachsen ist (67.024). Allein aus Mülheim haben 2010 fast 700 Abiturienten an NRW-Hochschulen ein Studium aufgenommen. 2008 waren es nur 625. Ähnliches kann Katja Hübner, Sprecherin der Agentur für Arbeit, berichten. „Viele Schüler, die zur Berufsberatung gehen, wollen studieren. Das Gymnasium bereitet auch bewusst auf das Studium vor.“
BWL studieren möchte Lena Hörning (19). „Erfahrungen in Nebenjobs haben mich angespornt zu studieren, um nachher erfolgreich im Beruf zu sein.“ Zeitungen austragen, Kassieren bei Edeka oder Verkaufen bei Döbbe – ihr haben die Nebenjobs gezeigt, was Menschen alles machen (müssen), um ihre Familie ernähren zu können. Meist zum Preis von langen Arbeitszeiten und zum kleinen Lohn, wie sie sagt. „In so einer Klemme möchte ich nicht stecken. Deshalb studiere ich.“
Ausbildungsberufe wenig begehrt
Sunnyi Mews wird sich für ein Psychologie-Studium bewerben. Was sie aber später mal werden will, weiß sie jetzt noch nicht. Die Berufsberatung der Agentur für Arbeit wird aber nur spärlich von Abiturienten besucht. Dieses Jahr gingen lediglich 153 Mülheimer Abiturienten zur Berufsberatung, das waren nur 15,6 % aller 979 Hilfesuchenden (2010 waren es 165 von 936; 17,6 %).
Einen konkreten Plan hat da schon Dominik Rohrmoser (19). Er strebt das duale Studium zum Finanzbeamten in Mülheim an. Auch für ihn stand ein Studium als nächster Schritt nach dem Abi fest. „Doch das duale Studium verbindet Praktisches und Theoretisches miteinander“, sagt der Heißener Gymnasiast.
Ausbildungsberufe sind laut nicht repräsentativer WAZ-Befragung weniger begehrt. „Ausbildungsberufe wie Bankkauffrau reizen mich nicht“, sagt Gymnasiastin Janika Düttchen (19) und bestätigt so das wachsende Interesse von Abiturienten am Studium.
Noch gibt es freie Lehrstellen in Mülheim. Von Oktober bis Mai dieses Jahres wurden 855 freie Stellen bei der Agentur für Arbeit gemeldet. Das sind zwar 14 Stellen weniger als im letzten Jahr, doch 442 Stellen waren bis Ende Mai noch unbesetzt. Den 442 freien Stellen stehen 526 noch unversorgte Bewerber in Mülheim gegenüber. Die Zahl der Schulabgänger auf der Suche nach einer Ausbildungsstelle stieg dieses Jahr um 4,6 % auf 979.
Der Trend zur Akademisierung
Doch die Entwicklung an Gymnasien spricht nicht für Ausbildung. „Ein Hochschulabschluss sichert einem bessere Zukunftsaussichten und man bleibt unabhängig von der Konjunktur“, begründet Kay Schönwald (18) seine Studienwahl für Grundlagenforschung in Physik.
Den Trend zur Akademisierung sieht auch Dr. Jürgen Puth, Berufsberatungslehrer am Gymnasium Heißen. Dass die meisten ins Studium wollen, begründet er mit der Tendenz zur Hochqualifizierung. „Stellen können nicht besetzt werden, da die nötige Qualifikation fehlt. Die Schüler versuchen nun, sich entsprechend zu qualifizieren, um Bedürfnisse der Unternehmen zu stillen.“
Eine andere Meinung hat Randi Beck, 19: „Ich hätte auch eine Ausbildung gewählt, trotz Abi, aber für mich war keine in Sicht.“ Handwerkliche Berufe standen zur Auswahl, allerdings seien ihr die zu praktisch. Augenzwinkernd sagt sie: „Darin hätte ich mich nicht verwirklichen können.“ Wie vielen anderen geht es auch ihr so, dass sie immer noch unsicher ist, welcher Beruf bzw. Studiengang der Richtige für sie sein könnte.
Sie bemängelt, dass sie keine richtige Beratungsstunde hatte und die Schule nur halbherzig Zukunftsperspektiven aufgezeigt und aufs Berufsleben vorbereitet habe. „Man lernt zwar fürs Abi, aber man hat nicht gelernt, wie man sich bei den Unis bewirbt. Das kann schon mal ein schwieriger Prozess sein“, weiß Sunnyi Mews.