Mülheim. .
Ein Urgestein der Mülheimer Wirtschaftsgeschichte, die Friedrich-Wilhelms-Hütte, wird 200 Jahre alt. Anlässlich des Jubiläums blicken Sprecher Georg Dierle und Geschäftsführer Heinz Wiebelhaus auf die langjährige Unternehmensgeschichte zurück.
Es gab in der 200-jährigen Geschichte Krisen, die kaum überwindbar schienen, aber durch besondere technische Errungenschaften doch gemeistert werden konnten. Wie stolz ist ein Geschäftsführer heute auf derartige Leistungen?
Heinz Wiebelhaus: Das ganze Unternehmen kann auf die technischen Errungenschaften der 200 Jahre sehr stolz sein. Insbesondere, da wir in unserer Eisen- und Stahlgießerei auf dem Stand der Technik sind. Im Eisenguss sind wir aufgrund der Volumen unserer Produkte durchaus in der Situation einer Alleinstellung gegenüber vielen inländischen Wettbewerbern. Im Stahlguss haben wir werkstofftechnisch eine gewisse Vorreiterrolle.
Wie viel von dem Wagemut, den Johann Dinnendahl einst an den Tag legte, ist heute noch nötig?
Wiebelhaus: Johann Dinnendahl war Profi-Unternehmer. Er bekam in Engpässen nicht die Ressourcen zur Verfügung gestellt, die er brauchte. Das war genau sein Beweggrund zu sagen: Ich muss neben Maschinenbau eine Eisengießerei aufbauen. Diesen unternehmerischen Wagemut versuchen wir heute auch zu praktizieren. So haben wir uns im Stahlguss sehr stark internationalisiert, vor allem sehr stark die Produktion für die Erdöl-Exploration intensiviert. Im Eisenguss haben wir unsere Gießgruben erweitert, um insbesondere der Zukunftstechnologie der Windkraft Rechnung zu tragen. Das wird sich auszahlen.
Vor fast genau vier Jahren stand die Hütte zu Zeiten des Booms so gut da wie kaum zuvor. Mitte 2009 brachen die Umsätze enorm ein. Wie sieht es heute aus?
Georg Stierle: Den Einbruch haben wir hinter uns. Der Stahlguss hat sich deutlich schneller erholt als der Eisenguss. Insbesondere die Umsätze bei den Produkten für die Erdöl-Exploration konnten deutlich ausgeweitet werden. Im Eisenguss hat die Talsohle wegen des Einbruchs im Schiffsbau länger gedauert. Wir machen Zylinderblöcke für Großmotoren. Dort ist wie in der Werftindustrie der Umsatz für uns massiv zurückgegangen. Er wird sich jetzt erst, beginnend mit dem zweiten Halbjahr, deutlich erholen, weil die Aufträge aus der Windenergie stark anziehen, natürlich auch befördert durch die Wende in der Energiepolitik.
Wie steht die Hütte bei den Umsatzzahlen im Eisen- und Stahlguss da, vergleicht man es mit dem Boomjahr 2008?
Stierle: Wir werden im Eisenguss in diesem Jahr noch 25 % niedriger liegen. Wir werden das aber nach unserer heutigen Einschätzung im nächsten und übernächsten Jahr wieder auf die ursprüngliche Höhe bringen. Der Stahlguss wird schon 2011 das Niveau von vor der Krise erreichen.
Heißt das, Sie suchen Facharbeiter im Stahlguss?
Stierle: Nein, wir erhöhen die Produktivität und haben in erheblichem Umfang und durch zusätzliche Qualifizierung 30 Mitarbeiter aus dem Eisen- in den Stahlguss versetzt.
Wiebelhaus: Das zeigt: Wenn wir Flexibilität beweisen müssen, tun wir es zwischen beiden Gesellschaften.
200 Jahre Hütte
Seit Oktober 2001 gehört die Hütte nicht mehr zum Thyssen-Krupp-Konzern, sondern ist als selbstständige Gesellschaft in die Georgsmarienhütte Holding eingegliedert. Ihre Bilanz!
Wiebelhaus: Von der gesamtwirtschaftlichen Situation gesehen ausgesprochen positiv. Als die Georgsmarienhütte die Friedrich-Wilhelms-Hütte gekauft hatte, kam direkt das erste, durch die Enron-Krise in den USA ausgelöste Konjunkturloch. Das war der erste Lackmus-Test, der bestanden werden musste: in Richtung mittelständisches Denken, mit Kapazitätsanpassungen und all diesen Dingen. Das ist gut gelungen. Ich denke, dass es den Mitarbeitern und Führungskräften gelungen ist, umzustellen vom Konzerndenken auf mittelständische Flexibilität. Natürlich brauchte das einen Umdenkprozess bei den Führungskräften: weg vom hierarchischen Von-oben-nach-unten in Richtung stärkere Verantwortung jedes Einzelnen. Nur durch die hervorragende Umsetzung dessen haben wir es geschafft, eine Branche, die in Deutschland mit seinem hohen Lohnniveau nicht einfach zu platzieren ist, zu halten.
Benennen Sie Beispiele, wie die Mitarbeiter die neue Struktur mit Leben füllen!
Wiebelhaus: In der Eisengießerei haben Mitarbeiter auf Teile ihres tariflichen Einkommens verzichtet. Da gab es keine Blockadepolitik, wie es das in Unternehmen gibt, wo die Arbeitnehmer weniger ergebnisorientiert denken. Umgekehrt gibt es Ergebnisbeteiligungen. Wir sind in der Lage, bei positiven Ergebnissen zehn Prozent der Ergebnisse an die Mitarbeiter auszuschütten. Das ist in Deutschland nicht unbedingt üblich.
Der Kostendruck am Weltmarkt ist enorm, der Standort D traditionell zwar teuer, aber auch stark in der Qualität. Kann die Rechnung noch lange aufgehen?
Stierle: Es gilt, was auch in der Vergangenheit gegolten hat: Man muss neue Wege, neue Produkte finden. Wenn sich zum Beispiel im Schiffsmotorenbau die Lage deutlich verschlechtert, dann ist eine Möglichkeit, nach neuen Produktfeldern zu suchen. Da fiel ja schon das Stichwort Windenergie. Das hat für uns schon vor einigen Jahren begonnen. Interessant für uns ist jetzt vor allem im Eisengroßguss die Offshore-Windindustrie, weil die Anlagen dort größer und damit auch schwerer sind. Das andere ist die ständige Herausforderung, die Produktivität zu steigern. Im Anlagenbereich sind da sicher im Eisengroßguss nicht mehr so viele Möglichkeiten, so geht es um intelligente Steuerungssysteme. Da haben wir gerade ein größeres Projekt in der Umsetzung, das wir trotz der schwachen Ergebniszahlen in Angriff genommen haben. Im Stahlguss profitieren wir besonders von der positiven Entwicklung in der Erdöl-Exploration. Es gibt aber auch in der Fahrzeugtechnik neue Projekte, die wir angehen.
Welche Rolle spielt die Verteuerung der Energie für eine Gießerei?
Stierle: Das ist nach Material und Personal der dritte große Kostenfaktor – er liegt im zweistelligen Prozentbereich bezogen auf die Kosten. Wenn sich da erhebliche Verschiebungen ergeben, kann das sehr schwierig werden.
Wiebelhaus: Wir haben einige Kostenfaktoren, die sehr volatil sind, so auf der Rohstoffseite die Schrotte. Beim Schrott gibt es heute einen Materialteuerungszuschlag, heißt: Die Preise, die wir unseren Kunden machen, sind immer Preise auf einer bestimmten Schrottpreisbasis. Wenn sich die verändert, ändert sich automatisch der Endpreis. Die Frage ist, ob wir es uns nicht erlauben müssen, auch die Energieproblematik an den Kunden weiterzugeben. Das ist sicher ein Thema, das auf uns zukommt. Aber unsere Branche hat schon so viele Krisen hinter sich gebracht . . .
. . . dass Sie nichts mehr schrecken kann?
Wiebelhaus: Nicht mehr viel.
Zum Schluss: Wie zukunftsfähig ist die Hütte?
Wiebelhaus: Wir werden das Thema Werkstoffentwicklung im Stahlguss weiter vorantreiben. Im Eisenguss werden wir, vielleicht durch den Ausbau von Gießgruben, dem Markt der Windenergie im Offshore-Bereich folgen. Von daher machen wir uns, trotz der hohen Löhne und der Energieproblematik, keine Sorgen um den Standort.