Mülheim. Wohin geht's in Mülheims Baupolitik? Bei der Frage, ob Wohnsiedlungen verdichtet oder alte Industriegebiete neu besiedelt werden sollen, herrscht Uneinigkeit zwischen den Parteien. Ein Streitpunkt ist die Planung fürs Lindgens-Areal am Kassenberg.

Die Politik streitet über Bauland. Und die Bürger? Die einen plädieren für neue attraktive Wohngebiete, oder regen sich über geplante Bauprojekte auf, beklagen eine zunehmende Verdichtung, und wieder andere sind überzeugt: Es gibt in Mülheim schon jetzt ein zu großes Angebot am Markt. Wirklich?

„Wir sollten dringend überlegen“, appelliert der Sprecher der Mülheimer Bürgerinitiativen (MBI) Lothar Reinhard, „ob wir unsere Baupolitik in den nächsten Jahren nicht komplett verändern sollten.“ Und er zählt mit der Bebauung an der Hochfelderstraße, am Blötterweg, am Fünter Weg, am Mariannenweg, an der Tilsiter Straße, am Fängerweg gleich reihenweise neue Baugebiete auf.

Lieber alte Industrieflächen neu bebauen

Der Blick einiger Planungspolitiker fällt in jüngster Zeit verstärkt auf das Areal der Lederfabrik Lindgens am Kassenberg, die sich in den nächsten Jahren dort zurückzieht. Ein ideales Gebiet zum Wohnen, sagen die MBI. So sieht es auch Wirtschaftsförderer Jürgen Schnitzmeier. Bereits auf der letzten Immobilienmesse Expo Real hatte er das Gelände an der Ruhr als Top-Standort für Wohnen oder weiteres Gewerbe präsentiert.

Sollte eines Tages der Kassenberg zum Standort für exklusives Wohnen werden, könnte auch das Grundstück der einstigen Ibing-Brauerei ein paar Meter weiter für Wohnzwecke entwickelt werden. Die Zielrichtungen dahinter: Lieber alte Industrieflächen neu bebauen statt bestehende Wohngebiete noch weiter zu verdichten, und das zu Lasten der Natur.

Konkurrenz zur Ruhrbania

Es stimme schlicht nicht, empört sich Wilfred Buß (SPD), dass an allen Ecken und Enden gebaut und dabei Grünflächen vernichtet würden. „Es gibt eindeutig festgesetzte Grenzen im Flächennutzungsplan.“ Die SPD gibt sich am Kassenberg kritisch. Der Vorsitzende des Planungsausschusses, Dieter Wiechering, wundert sich, dass ausgerechnet der Kassenberg als naturnahes Gelände von denen zur Bebauung ins Gespräch gebracht wird, die gegen jede kleine Asphaltierung an anderer Stelle klagen.

Sollte Lindgens am Kassenberg eines Tages den Antrag auf Wohnen stellen, muss die Politik entscheiden. „Wir müssen uns aus städtebaulicher Sicht sehr genau überlegen, ob wir dort Wohnbebauung wollen“, sagt der planungspolitische Sprecher der SPD, Claus Schindler. Dort würde dann ein völlig neues Stadtquartier errichtet, mit vielen ungelösten Verkehrsfragen. Und es würde aus seiner Sicht auch eine Konkurrenz zu Ruhrbania auf der anderen Seite der Ruhr entstehen, wo ebenfalls in den nächsten Jahren zahlreiche neue Wohnungen gebaut werden. „Wollen wir das? Oder brauchen wir solche Flächen wie das der Lederfabrik nicht viel dringender für neue Gewerbeansiedlungen?“

Überschuss an Baufeldern

Für den Leiter des städtischen Planungsamtes, Martin Harter, gilt zuerst die Richtschnur des Gesetzgebers: „Bevor neu in Außengebieten gebaut wird, sollten zunächst die Möglichkeiten der Innenbebauung ausgeschöpft werden. Also Gebiete wie am Fängerweg in Saarn, wo sich die Anwohner dagegen wehren, dass Gartenland zu Bauland gemacht werden soll. Auch dort spricht man von einem Überschuss an Baufeldern.

Von einer gemeinsamen Linie in Sachen Bauen ist die Politik weit entfernt. Von einer Prioritätenliste, die regelt, wo was mit Vorrang von der Stadt behandelt werden soll, hat man sich verabschiedet, nachdem man mal wieder über Eppinghofen und die Bruchstraße gestritten hat. Keine Zukunftsschule an der Stelle, dann sei dort auch keine Eile beim Bebauungsplan nötig, meint die CDU. Die SPD wittert nach wie vor den Verdacht, dass Teile der Mülheimer Politik statt einer Schule dort lieber neues Bauland hätten – für Einfamilienhäuser.