Mülheim. Eine neue Untersuchung des Pestel Institut zeigt: Mülheim ist in zehn von 18 Indikatoren äußerst krisenanfällig - und in nur vier Punkten krisenfest. In der Stadt fehlt besonders die Landwirtschaft. Der Aussagewert der Studie ist jedoch umstritten.
Städteranglisten, so genannte Rankings, gibt es zu allerlei Themen: Hier wird die vermeintliche Hundehauptstadt Deutschlands gekürt, dort die waldreichste Stadt, wieder anderswo die Stadt mit dem vermeintlich größten Frauenanteil in der Bürgerschaft – vermeintlich ein großes Glück für Männer. Bekannt – und in Mülheim gern zitiert – ist das Ranking der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, das der Stadt die größte wirtschaftliche Substanz im Ruhrgebiet attestiert. Seit Montag ist eine neue Untersuchung zur regionalen Krisenfestigkeit auf dem Markt, herausgegeben vom Hannoveraner Pestel Institut. Glaubt man den Ergebnissen, müsste es den Entscheidern in Mülheim angst und bange werden: Die Stadt wird mit dem Makel einer sehr hohen Krisenanfälligkeit belegt. Zweifel an dem Aussagewert der Studie sind: doch angebracht.
Die nächste Krise kommt bestimmt
„Ob Banken kollabieren, Rohstoffe knapp werden oder der Klimawandel die Ernährungssicherheit bedroht, mag offen bleiben“, erläutern die Macher vom Pestel Institut, den Anlass für ihre Untersuchung: „Sicher ist: Die nächste Krise kommt bestimmt!“ Ausrufezeichen! Welche Krise ihm vorschwebt, lässt das Institut erst mal im Nebel. Doch es muss etwas weit schlimmeren Ausmaßes gemeint sein als die Wirtschaftskrise zuletzt. Das verrät nicht zuletzt folgender der 18 Indikatoren, den das Institut gewählt hat: die Landwirtschaftsfläche pro Einwohner. Die zieht Pestel mit der Annahme heran, dass die Krisenanfälligkeit umso geringer ist, je mehr Landwirtschaft in einer Stadt betrieben wird. Pestel malt die Versorgungskrise an die Wand: Wenn Konflikte und Kriege, Öl(preis)krisen oder Missernten infolge des Klimawandels die Importe von Lebensmitteln erschwerten, sei man auf die Existenz großer landwirtschaftlicher Flächen angewiesen, um den lokalen bzw. regionalen Bedarf zu decken. Um Mülheim, so die Studie, steht’s unter diesem Gesichtspunkt arg schlecht. Sic!
Insgesamt macht das Pestel Institut in der Ruhrstadt bei zehn von 18 Indikatoren äußerste Krisenanfälligkeit aus. Die hohe Erwerbslosenquote erhöhe die Risiken sozialer Ausgrenzung im Krisenfall, die relativ geringe Versorgungsquote bei Hausärzten sei keine gute Voraussetzung für die Aufrechterhaltung stabiler Strukturen. Es gebe zu wenig Ökolandbau, Waldfläche je Einwohner (als Bezugsquelle für Energie und alternativen Hausbau), Windkraft, Versorgung über dezentrale Biogas- und Solaranlagen. Auch sieht das Institut den Anteil der Mülheimer, die zu ihrem Arbeitsplatz pendeln müssen, als kritisch für den Krisenfall an. Ebenso unterdurchschnittlich schneidet Mülheim ab beim Indikator der kommunalen Schulden je Einwohner. Die hohe Pro-Kopf-Verschuldung mache es Städten schwerer, sich auf Krisen vorzubereiten und auf diese zu reagieren.
Krisenfest in vier Punkten
Nur in vier Punkten ist Mülheim laut Untersuchung krisenfest aufgestellt: Die Stadt hat vergleichsweise wenig Schulabgänger ohne Abschluss (das sei gut fürs soziale Gefüge), mehr Zu- als Wegzug (das spreche für eine „starke“, „attraktive“ Region mit relativ vielen Arbeits- und Ausbildungsplätzen), einen hohen Anteil von Mietern in der Bürgerschaft (das mache die Bürger flexibler in Krisen) und eine geringe Verkehrsfläche je Einwohner. Letzteres spreche für eine relativ geringe Bedeutung des in Krisenzeiten schwer aufrecht zu haltenden Individualverkehrs; siehe: Versorgungsnotstand Treibstoff.
Die Macher der Studie richten einen Appell an die deutschen Kreise und Städte: Ihnen könne „nur empfohlen werden, sich mit möglichen Krisenszenarien wesentlich intensiver zu befassen als bisher“. Ob Mülheim nun zu empfehlen ist, mehr Landwirtschaftsflächen auszuweisen, ist nicht übermittelt.
Erinnern wir uns: Zum Ende des Zweiten Weltkrieges sah der Morgenthau-Plan des amerikanischen Finanzministeriums auch schon mal vor, Deutschland in ein Agrarland umzuwandeln. Eine Deindustrialisierung liegt laut Studie gar nicht so fern – denn als krisenanfällig gilt auch eine Stadt, die einen hohen Anteil (krisenanfälliger) Arbeitsplätze in der Industrie hat. Mülheim, in diesem Punkt: mittelmäßig krisenfest . . .