Droht Mülheim die „graue Wohnungsnot“? Dieses Szenario hat die Kampagne „Impulse für den Wohnungsbau“, ein Zusammenschluss von Verbänden der Bau- und Immobilienwirtschaft sowie der IG Bau, unlängst entworfen.

Unstrittig ist: Die Mülheimer werden immer älter, mehr barrierefreie Wohnungen werden in Zukunft gebraucht. Strittig ist, ob Mülheim auf den wachsenden Bedarf vorbereitet sein wird.

Senioren hätten in Mülheim schlechte Chancen, in den eigenen vier Wänden alt zu werden, stellen die Initiatoren besagter Kampagne fest. Laut einer Untersuchung des Pestel-Instituts werde es im Jahr 2025 in Mülheim rund 12 % mehr Haushalte mit einem Menschen über 70 Jahre geben; insgesamt wären es 22 870 Senioren-Haushalte. Wenn man davon ausgehe, dass nur jeder fünfte dieser Haushalte auf eine barrierefreie Wohnung angewiesen sei, müsse dringend saniert und neu gebaut werden – mit breiten Türen, durch die ein Rollstuhl passt; mit ebenerdigen Duschen, Aufzug und ohne Stufen in die Wohnung.

„Es kann nicht sein, dass ältere Menschen nur deswegen ins Heim müssen, weil sie zu Hause keine altengerecht ausgebaute Wohnung haben“, so Matthias Günther vom Pestel-Institut. In 15 Jahren würden in Mülheim 4570 solcher Wohnungen benötigt. Dafür müssten Neubauten her, weil der Umbau eines Teils der Altbausubstanz sich nicht mehr wirtschaftlich rechnen lasse.

„Wir können dieses Horrorszenario nicht nachvollziehen“, entgegnet Stadtsprecher Volker Wiebels, der für die Kampagne rein lobbyistische Gründe sieht. In der Arbeitsgemeinschaft „Seniorengerechte Stadt“ diskutierten Verwaltung, Politik, Wohlfahrtsverbände und die zwei großen Mülheimer Wohnungsbauunternehmen lange schon über Aspekte der Stadtplanung, über wohnungsnahe Dienstleistungen und anderes. Was die Verfügbarkeit an seniorengerechten Wohnungen anbelange, „verlassen wir uns natürlich auf die Wohnungsbaugesellschaften“.

Diese, SWB und MWB, sehen keinen Grund zur Sorge. Zwar beobachte man einen wachsenden Bedarf an barrierefreien Wohnungen, doch tue man auch was dafür. Bei der SWB gilt der Beschluss, bei Modernisierungen mindestens das Erdgeschoss barrierefrei zu halten, möglichst auch das 1. Obergeschoss. „Wir versuchen uns bei jeder Sanierung weitestgehend ranzutasten“, so Sprecherin Christina Holz. Von 8581 Wohnungen im Stadtgebiet seien mittlerweile gut 950 barrierefrei oder -arm. Allein in der Planungsperiode 2010-2014 werde die SWB fast 1200 Wohneinheiten modernisieren, rund ein Drittel davon lägen im Erdgeschoss und seien dabei dem Plan unterworfen, anschließend barrierefrei zu sein.

Die Forderung der Kampagne nach Neubauten kann Holz nicht nachvollziehen. Der Wohnungsmarkt in Mülheim sei gesättigt. „Ein Neubauprogramm ist kaum nötig“, sagt auch MWB-Geschäftsführer Frank Esser. Mülheim habe schließlich einen Wohnungsleerstand von 6,5 %. Gleichwohl denke die MWB über Mehrgenerationen-Projekte an der Brüsseler Allee (Saarn) und am Fünter Weg (Heißen) nach.

Ferner verlange sich die Genossenschaft alle zwei Jahre die Zertifizierung für ein „Komfortwohnen 50+“ ab. So seien Mitarbeiter des Hauses geschult, um die MWB-Genossen für eine seniorengerechte Wohnausstattung individuell zu beraten und entsprechend Lösungen für einzelne Wohnungen zu vereinbaren. Finanziert würden die Umbauten und anderes entweder über die (Pflege-)Kassen, über eine Mieterhöhung oder, bei finanzieller Überforderung von Mietern, durch MWB-Zuschüsse. Fast 11 % der 4850 MWB-Wohnungen seien mittlerweile barrierefrei, Tendenz: steigend.

Gerade der alte Wohnungsbestand aus den 50er und 60er Jahren, schränkt Esser allerdings ein, könne nicht ohne Weiteres barrierefrei gestaltet werden. „Da, wo es geht, wird’s aber gemacht.“

Für Immobilien Walter Orts stellt Makler Ralf Wierig fest, dass (auch junge) Kaufinteressenten seit zwei, drei Jahren „ganz verstärkt“ auf die Barrierefreiheit Wert legen. Mit dem Altbestand sei diese Nachfrage nicht zu befriedigen. Im Mietsegment halte sich die Nachfrage nach barrierefreien Wohnungen derweil noch in Grenzen, doch auch das Angebot sei äußerst gering. Für Immobilien Vanessa Orts stellt die Chefin eine hohe Nachfrage nach Neubau-Erstbezug, einer „Rarität“, fest. „Am Halbach“ in Speldorf habe man bereits 25 % vermietet, ohne dass die Rohbauten stünden. Der Baubestand sei schwierig zu modernisieren. „Es gibt einen Mangel an altengerechten, schönen Wohnungen mit abrufbarem Service – egal in welcher Preiskategorie“, so Orts.