Mülheim. .
Klares Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft beim Jahresempfang in der Akademie "Wolfsburg": Evonik-Chef Dr. Klaus Engel mahnte Wirtschaftsbosse vor mehr als 400 Gästen zu mehr Verantwortungsgefühl. Sie sollten sich öfter Rat bei Kirchen holen.
Alles gibt es irgendwann zum ersten Mal, so auch den Alarm in der Akademie „Wolfsburg“ beim Jahresempfang, als Konzern-Chef Dr. Klaus Engel mit seinen Ausführungen zur Sozialen Marktwirtschaft starten wollte.
Die mehr als 400 Gäste aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Kirche mussten so einige Minuten auf eine Rede warten, von der es später hieß: absolut bemerkenswert. Dabei holen sich die Akademie und der Bischof von Essen stets Hochkaräter ins Haus, zuletzt die Bundeskanzlerin. Die Steigerung musste ein „Engel“ sein.
Kirchen seien Vorbild für soziale Arbeitswelt
Das Lob erntete der Vorstandsvorsitzende von Evonik Industries auch, weil er die Kirchen mehrfach als vorbildlich im Einsatz für eine soziale Arbeitswelt hervorhob: „Bis heute begleiten beide Konfessionen die Arbeitswelt, unterstützen die Arbeitnehmer und haben ihnen eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Teilhabe ermöglicht“, so Engel. Den Kirchen, und gerade im Ruhrgebiet, attestierte er einen „erheblichen Anteil an dem sozialen Faktor der Marktwirtschaft“. Die Soziale Marktwirtschaft bezeichnete er als alternativlos, als beispielhaft auf der Welt. Daher bedrücke es ihn, wenn er sehe, dass nach der Weltwirtschaftskrise die Zustimmung im Volk zur Sozialen Marktwirtschaft mit 48 Prozent einen Tiefpunkt erreicht habe.
Aber nicht nur damit punktete er. Mit den Bossen, mit der Wirtschaftselite ging er kritisch ins Gericht. „Viele Manager unterschätzen die gesellschaftlichen Auswirkungen ihrer Entscheidungen“, sagte Engel, der auch Vizepräsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie ist.
Eliten müssten sich Kritik stellen
Die großen Eliten müssten „geerdet“ bleiben und dürften den Kontakt zur Gesellschaft nicht verlieren. Sie müssten sich der Kritik stellen, da könnten manche Wirtschaftsbosse von Politikern etwas lernen. „Wir sollten wieder lernen, aktiv zuzuhören, auch den Kirchen, die mehr über die Lebensnöte der Menschen wissen als andere, wir sollten stärker den Dialog suchen und uns für das Gemeinwohl verantwortlich fühlen.“ So könne wieder das nötige Vertrauen erreicht werden. Engel forderte einen Schulterschluss von Wirtschaft, Politik, Gewerkschaften und Kirchen, um für mehr Gemeinsinn und Demokratie zu kämpfen.
Dies wird schon deshalb notwendig sein, weil die großen Veränderungen in Kirche und Gesellschaft bei vielen Menschen zu großen Verunsicherungen führen, wie Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck betonte. Die wirtschaftliche und demografische Entwicklung des Ruhrgebietes sowie ein neues Kirchenverständnis stellen aus seiner Sicht das Bistum vor die Aufgabe, der Gestalt der Kirche einen neuen Stil zu geben.
Bischof Overbeck: Religion keine Privatangelegenheit
Drei Perspektiven nannte er dabei: Glauben leben, Kirche sein und Leben teilen. Der Begriff Sozialbistum dürfe keine leere Worthülse sein. Die Kirche müsse immer wieder neu unter dem Aspekt der Gerechtigkeit reflektieren, was Solidarität und Subsidiarität für das Gesellschaftsmodell der Sozialen Marktwirtschaft bedeuteten. Gerade auch deshalb, im Interesse des Gemeinwohls, sei Religion eben keine Privatangelegenheit, sondern in hohem Maße öffentlich.
Nur kurz ging der Bischof auf den Missbrauchsskandal ein. Dieser habe „massiv die Glaubwürdigkeit der Kirche infrage gestellt“.
Es war der zehnte Jahresempfang in der Wolfsburg, die sich als ein Ort für Menschen versteht, die über den gesellschaftlichen und kirchlichen Wandel nachdenken und ihn mitgestalten wollen, so Akademiedirektor Dr. Michael Schlagheck. Dazu gehöre das Nachdenken über eine gerechte, zukunftsorientierte Wirtschaftsordnung – wie an diesem Abend.