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Klaus Engel, Chef des Verbandes der Chemischen Industrie und des Evonik-Konzerns, zollt in einer Rede der Umweltbewegung Respekt. Bahnt sich da die Versöhnung von Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND), den Grünen und der chemischen Industrie an?

Eine Rede ist eine Rede ist eine Rede. Zuweilen ist eine Rede auch mehr. Mutig etwa, weil der Redner seine Rede einer Redaktion vorab zur Rezension vorlegt. Das kann auch schiefgehen. Schließlich hat man so seine Erwartungen, wenn ein Industrieführer, noch dazu einer, der neuerdings an der Spitze des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI) steht, einen Vortrag hält. Wir kennen die Zutaten aus der Vergangenheit nur allzu gut: ein Gebräu aus Forderungen, Besserwisserei und Gemäkel an der Politik, das vor allem eines auf keinen Fall soll – über den Tellerrand schwappen.

Insofern hält Klaus Engel, VCI-Präsident und im Hauptberuf Evonik-Chef, heute im Audimax der Universität Bochum, eine bemerkenswerte Rede. Nicht nur wegen des großen Lobs für die Gewerkschaften, denen Engel ob der „disziplinierten Lohnzurückhaltung“ einen „entscheidenden Anteil“ am derzeitigen Erfolg der deutschen Wirtschaft bescheinigt. Bemerkenswert auch nicht nur wegen der ebenfalls von Unternehmensführern nicht allzu oft öffentlich gestellten Diagnose, dass es gerade „die Durchdringung der Marktwirtschaft mit sozialen Komponenten“ sei, die „maßgeblich“ den Erfolg der export- und wissensorientierten Wirtschaft bestimme.

Dialog mit den Kritikern

Da lässt zuvorderst die Erkenntnis aufhorchen, dass „die Industrie – auch die chemische Industrie – selbstkritisch in den Dialog mit ihren Kritikern“ treten müsse. Engel: „Wir müssen frank und frei die Leistungen der Ökologiebewegung einfach einmal anerkennen.“

Freilich ist da weniger die Erkenntnis die Nachricht als der Absender. Schließlich hört man von Chemie-Managern, noch dazu, wenn sie promovierte Chemiker sind, selten Sätze wie: „Gerade die chemische Industrie (...) muss zugeben, dass sie die weitreichende Effizienz, den weitreichenden Umweltschutz und die tief verwurzelte Nachhaltigkeit ohne den gesellschaftlichen Druck aus eigenem Antrieb nicht so weit vorangetrieben hätte.“

Konsenskultur in Deutschland

Bahnt sich da nicht weniger als die Versöhnung von Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND), den Grünen und der chemischen Industrie an? Der Evonik-Chef jedenfalls mahnt: „Wir müssen die Konsenskultur in Deutschland ernster nehmen.“

Industrie und Öko-Bewegung in einem Boot? Engel segelt da hart am Wind, was eine Begebenheit am Rande des jüngsten WAZ-Wirtschaftsforums zum Thema Industrie-Blockade belegen mag. Politikwissenschaftler Claus Leggewie raunt einem Mitdiskutanten, dem BUND-Vize Klaus Brunsmeier zu: „Ist doch toll, vor ein paar Jahren wäre niemand auf die Idee gekommen, uns einzuladen.“

Bekenntnis zum Standort Ruhrgebiet

Engels Gedanke der Versöhnung, der gegenseitigen Befruchtung hat etwas strukturell Positives, weil der Manager daraus nicht das Kapitel des Scheiterns schreibt, sondern die Erfolgsstory der Exportnation Deutschland. Das alles könnte man als billige Effekthascherei abtun, schlüge Engel nicht einen weiten Bogen: über das eindeutige Bekenntnis zum Industriestandort Ruhrgebiet und Deutschland, der neu erwachsenen Bedeutung der Old Economy, der es letztlich zu verdanken sei, dass sich die deutsche Wirtschaft deutlich besser als jede andere aus dem Sumpf der Finanzkrise gezogen hat. „Ohne eine gesunde und zukunftsfähige industrielle Basis lassen sich viele Dienstleistungen und die Kreativitätsindustrie nicht aufrecht erhalten“. Engel: „Auch wir haben uns einlullen lassen von den Versprechungen, dass eine Dienstleistungsgesellschaft alle Probleme einer angeblichen überkommenen Industrie lösen kann.“

Die Zukunft gehöre weder den globalen Nomaden noch den den Finanzmarkt-Getriebenen. Liest man Engel, gehört die Zukunft Deutschland, sofern man es schaffe, das Konsensmodell der sozialen Marktwirtschaft zu „revitalisieren“. Technologieführerschaft, Wettbewerbsvorteile, der Spurt aus der Krise heraus an die Weltspitze dank schneller Unternehmen, flexibler Mitarbeiter und kluger Politik – „Die Renaissance der Old Economy. Deutschland als Vorsprungsgesellschaft“ hat Engel seinen Vortrag überschrieben. Es könnte durchaus sein, dass die Studenten heute mit mehr Zuversicht aus dem Audimax gehen als sie hineingekommen sind.