Mülheim. .
Im Streit um Beiträge, die die Stadt nach Jahrzehnten jetzt eiligst eingefordert hatte, hat die Verwaltung ihr Handeln nun „bedauert“. Sie bietet "großzügige" Zahlungsvereinbarungen an. Dabei steht nicht fest, ob sie das Geld zu Recht fordert.
Im Streit um die Anliegerbeiträge, die die Stadt nun für die teilweise schon Jahrzehnte zurückliegende Erschließung von Straßen einfordert, hat die Verwaltung ihr Handeln nun „bedauert“.
„Ungünstig gelaufen“ – so bezeichnete das Baudezernat von Helga Sander die Vorgehensweise ihres Hauses, im Dezember noch übereilig rund 60 Bescheide an Grundstückseigentümer der Albertstraße (Styrum), der Dessauer Straße (Heißen) und der Barbarastraße (Dümpten) verschickt zu haben.
Um ihre vermeintlichen Ansprüche noch kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist geltend zu machen, hatte die Stadt mitunter gar die übliche Anhörungsfrist außer Kraft gesetzt.
Stadt: Verfahren war "nicht kundenfreundlich"
„Auch wenn die Festsetzung der Beiträge rechtlich nicht zu beanstanden sein dürfte“, hieß es, „war das gewählte Verfahren nicht kundenfreundlich. Wir werden auf jeden Fall großzügige Zahlungsvereinbarungen treffen, wenn das gewünscht ist.“ Unabhängig hiervon werde die Stadt die aktuell drei letzten von insgesamt zehn Altfällen, die ab 2006 abgerechnet worden seien, auf unbillige Härte hin überprüfen – und wenn die Politik dies unterstütze, so Stadtsprecher Volker Wiebels, „mögliche Korrekturen“ vornehmen.
1981 eine Straße bauen. Weil sie keine zwei befestigten Bürgersteige hat, dürfen Anlieger laut geltender Satzung aber nicht an den Kosten beteiligt werden. 2006, 15 Jahre später, eine neue Satzung in Kraft treten lassen. Im Dezember 2010, kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist, den überraschten Anliegern, die ihr Haus mitunter nicht so lange besitzen wie die in Rechnung gestellte Baumaßnahme her ist, die Rechnung präsentieren... Geht es beim aktuellen Gebaren der Stadt Mülheim mit rechten Dingen zu? Diese Frage wird das Verwaltungsgericht Düsseldorf alsbald in mindestens 27 Fällen zu klären haben.
Rechtsanwalt sieht Ansprüche verjährt
Zwei dieser Fälle betreut der Oberhausener Rechtsanwalt Winfried Förster. 1983 war die Albertstraße in Styrum als Spielstraße ohne Bürgersteige angelegt worden, 27 Jahre später fordert die Stadt Erschließungsbeiträge von den Anliegern. Förster pocht auf Verjährung der Ansprüche, „möglicherweise liegt auch eine Verwirkung vor“. Recht (auf Zahlung der Beiträge) kann verwirken, wenn der Anspruchsberechtigte (die Stadt) es über einen längeren Zeitraum nicht geltend gemacht hat und der dem Recht Verpflichtete (Anlieger) sich darauf eingerichtet hat und sich auch darauf einrichten konnte, dass dieser das Recht auch künftig nicht geltend machen werde.
In einem von Försters Fällen hat ein Anlieger der Albertstraße in Styrum sein Haus erst erworben, als die Erschließung als Spielstraße länger schon abgewickelt war. Förster kritisiert in seiner Klage insbesondere die nachträgliche Änderung der Satzung durch die Stadt. Mit alter Satzung, die zum Zeitpunkt der Baumaßnahme gültiges Recht war, habe die Stadt für Straßen wie das Teilstück der Albertstraße eben keine Anliegerbeiträge vorgesehen.
CDU-Vorsitzender: Verhalten der Stadt "völlig indiskutabel"
„Das heißt“, schlussfolgert Förster in seiner Klageschrift, „die Beklagte wollte dies damals so. Hätte sie es anders gewollt, hätte sie die Satzung ändern müssen.“ Weiter führt Förster an, dass die Stadt beim Errichten der Straße ja gewusst habe, dass sie laut gültiger Satzung auf den Kosten sitzen bleiben würde. „Wenn hier die Verjährungsfristen nicht greifen, bleibt die Rechtssicherheit auf der Strecke.“
CDU-Parteivorsitzender Andreas Schmidt, selbst Rechtsanwalt und ehemals Vorsitzender des Rechtsausschusses im Deutschen Bundestag, hält das Vorgehen der Stadt ebenfalls für „völlig indiskutabel“. Die Stadt habe die Anlieger über Jahre „im Glauben gelassen, dass da nichts mehr kommt“.
Bund der Steuerzahler skeptisch, ob Anwohner im Recht sind
Schmidt sieht deshalb keine schlechten Aussichten für Anlieger, die auf Verwirkung klagen. Es sei unvereinbar mit dem Prinzip des Rechtsstaates, sich 20, 30 Jahre „nicht zu kümmern und dann zum Nachteil der Bürger die Akte zu ziehen“.
Heinz Wirz, Justiziar beim Bund der Steuerzahler, ist da skeptisch. Damit das Argument der Verwirkung greife, müsste die Stadt in der Vergangenheit zu erkennen gegeben haben, dass sie bei einer Straße ausnahmsweise keine Beiträge erheben wolle. Grundsätzlich sei die Stadt per eigener Satzung ja stets verpflichtet gewesen, Anliegerbeiträge zu erheben.