Mülheim.
Einem Anwohner der Albertstraße in Styrum flatterte jüngst eine Forderung über 5476,60 Euro für Erschließungsbeiträge ins Haus. Obwohl er einen Monat Zeit hat, Stellung zu nehmen, bekam er zwei Wochen später einen erneuten Bescheid. Einen höheren.
Die Stadt versucht auf den letzten Drücker Erschließungsbeiträge abzukassieren. Nach WAZ-Recherchen hat sie bis zum 31. Dezember Zeit, Bescheide rauszuschicken auch für Straßen, die schon vor einer gefühlten Ewigkeit technisch fertiggestellt worden sind. Ein aktueller Fall aus Styrum zeigt, in welche Schwierigkeiten die Stadt ihre Bürger damit bringt.
Kurz die Faktenlage: Lange Zeit hat die Stadt Erschließungsbeiträge an bestimmten Straßen nicht geltend machen können, weil in der entsprechenden Beitragssatzung ein Bauprogramm integriert war, das etwa festgelegt hat: Abgerechnet werden kann nur eine Straße, die über zwei befestigte Gehwege verfügt. Über die Ratspolitik hat die Verwaltung schließlich die Satzung ändern lassen; so durften ab 1. Januar 2006 auch Straßen abgerechnet werden, die nicht über zwei Gehwege verfügen.
Forderung über 5476,60 Euro
So flatterte nun auch Wolfgang Leuschke von der Albertstraße in Styrum ein Brief der Stadt ins Haus. Mit Datum vom 3. Dezember teilte ihm die Stadt mit, dass er mit einer Forderung von 5476,60 Euro zu rechnen habe für einen Ausbau der Albertstraße zwischen 1979 und 1981. „Ich gebe Ihnen die Gelegenheit, innerhalb eines Monats zu dem beabsichtigten Bescheid Stellung zu nehmen“, schrieb die Sachbearbeiterin. Schließlich dauerte es aber nur zwei Wochen, da hatte Leuschke den Bescheid in der Post: Nun fordert die Stadt von ihm 5510,70 Euro. „Im Rahmen des Anhörungsverfahrens sind bei mir bisher keine wesentlichen Einwände eingegangen“, schrieb die Sachbearbeiterin. Wie gesagt: nach nur zwei Wochen. Das war ihr selbst bewusst, weiter heißt es: „Aus Gründen der Rechtssicherheit muss ich die Bescheide aber noch bis zum Ende des Jahres 2010 zustellen. Ich biete Ihnen aber dennoch gerne an, mich bei offensichtlichen Unrichtigkeiten weiterhin direkt anzusprechen und sichere Ihnen zu, bei berechtigten Einwänden den Bescheid auch noch zu berichtigen, während die Klagefrist bereits läuft.“ Immerhin.
Bund der Steuerzahler: Alles ist rechtens
Leuschke sah sich trotzdem fast gezwungen, seinen Winterurlaub zu stornieren, so viel hat er nun zu klären. Er hat sein Haus an der Albertstraße 1987 gekauft, der Straßenausbau war da längst erledigt. Im Kaufvertrag wurde ihm seinerzeit vom Verkäufer zugesichert, dass dieser möglicherweise anfallende Erschließungsbeiträge aus der Vergangenheit zahle. Nur: Wo wohnt der ehemalige Eigentümer heute? Vor seinem Urlaub konnte Leuschke dies nicht herausfinden. Er muss der Stadt aber auch nachweisen, dass der Alteigentümer seinerzeit eine Vorauszahlung von gut 850 Euro geleistet hat. Nachbar Karl-Heinz Richter hat das gleiche Problem: das Grundstück erst 1983 gekauft, der Vorbesitzer hat eine Vorausleistung getätigt.
Leuschke hält die Forderungen der Stadt für „sachlich-inhaltlich korrekt“, fragt aber doch nach der Verjährungsfrist. „Ich dachte, nur Mord verjährt nicht.“ Der Styrumer hat sich noch vor seinem Urlaub mit einem Anwalt vorberaten, auf dem Spielstraßen-Stück der Albertstraße sind schon zwei Klagen angekündigt (wir berichteten).
Beitragspflicht erlischt zum 31. Dezember 2010
Die Stadt hatte bislang behauptet, es gebe keine Verjährungsfrist für das Zustellen eines Beitragsbescheides, wenn eine Straße überhaupt zum ersten Mal eingerichtet worden ist. Falsch, sagt Heinz Wirz, Justiziar beim Bund der Steuerzahler. Auch hier gebe es eine Verjährungsfrist von vier Jahren. Allerdings beginne die Uhr erst zu ticken, wenn sämtliche Voraussetzungen für die Erhebung von Erschließungsbeiträgen erfüllt seien; dazu zähle auch die sachliche Beitragspflicht in der Satzung. Da diese erst durch die Änderung zum 1. Januar 2006 gegeben sei, verjähre die Beitragspflicht just zum 31. Dezember dieses Jahres. So erklärt sich auch die Eile der Sachbearbeiterin, die gar die eigens gesetzte Anhörungsfrist außer Kraft gesetzt hat. Einen Anspruch auf eine bestimmte Anhörungsfrist sieht die Abgabenordnung im Übrigen nicht vor.
Zum aktuellen Fall konnte die Stadtverwaltung wegen ihrer Betriebsferien bis zum 2. Januar keine Stellung nehmen. Zuvor hatte sie sich nicht einmal in der Lage gesehen zu sagen, für welche alten Ausbaumaßnahmen sie noch wie viel Geld einfordern werde. Lediglich vermochte die Stadt zu sagen, dass rund 120 Straßen betroffen seien.