Mülheim. Verkehrschaos wegen Streik? Viele Mülheimer Pendler bleiben gelassen. Manche Schule zeigt Verständnis, wenn Schüler nicht ankommen. Ein Einblick.

Wie in einer Endlosschleife pfeift der orangegrelle Kehrdienst ein „Girl from Ipanema“ vor sich hin, während sein Greifarm stoisch Tetrapaks pickt. Fahrstuhlmusik ohne Samba - „He ain‘t looking at me.“ Was auch sonst, denn an der Haltestelle Stadtmitte starrt man vor sich hin und wartet auf den Bus wie auf Godot. „Ich komme später“, spricht eine Frau in ihr Smartphone. Auf der anderen Seite vielleicht der Chef, der Mann, das Kind? Am Dienstagmorgen ist Streik im Nahverkehr. Mal wieder.

Für einen Teil der wenigen Pendler, die trotz Vorwarnung beharrlich an den Mülheimer Haltestellen stehen, scheint sich wenig geändert zu haben: „Der Bus kommt mal wieder nicht pünktlich“, sagt die Smartphone-Frau, die auf irgendeine Linie nach Speldorf wartet. Aber das sei auch schon gestern so gewesen, „das ist doch bekloppt“, zuckt ein kurzes Lächeln in die Mundwinkel. Da wurde noch nicht gestreikt.

Elektronische Anzeigen verkünden heute nur eines: Streik

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Gelassenheit scheint sich an dem ansonsten so quirligen Ort breitzumachen, wo die meisten Mülheimer Bus- und Bahnlinien sich schneiden. Ändern kann man ja eh nichts. Und die elektronischen Anzeigen, die normalerweise minutengenaue Ankunftszeiten versprechen, sagen im ständigen Laufband nur eines: Die Ruhrbahn streikt.

Die Datenaufbereitung und -versorgung benötige „inhaltlich und systembedingt mehrere Tage Vorlauf“, sagt dazu die Ruhrbahn. Aufgrund der kurzfristigen Streikankündigung sei es nicht möglich gewesen, eine Fahrzeugversorgung mit den Liniendaten aufzubauen.

Andere Routinen funktionieren ja noch. Zum x-ten Mal dreht ein Kehrwagen seine Runde um den Block zwischen Innenstadt und Ruhr, der sich Stadtquartier nennt. Als gäbe es auf dem Bürgersteig noch immer etwas sauberzumachen. Vielleicht nutzt er auch die Gunst der Stunde und kommt zum ersten Mal richtig durch. Weil heute kaum jemand im Weg steht.

Die Kehrseite des Streiks spürt auch ein Mülheimer Bäcker

„Heute Warnstreik“ hängt vor dem Mülheimer Straßenbahndepot an der Duisburger Straße. Am Mittwoch geht der Streik weiter.
„Heute Warnstreik“ hängt vor dem Mülheimer Straßenbahndepot an der Duisburger Straße. Am Mittwoch geht der Streik weiter. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

Die Kehrseite des Streiks bekommt just auch Laura Sallia zu spüren, die das „Kamps“ an der Stadtmitte leitet. Normalerweise macht sie in ihrem Bäckerladen jetzt gegen acht Uhr morgens ein gutes Geschäft mit den Bus- und Bahnkunden, die kurz noch belegte Brötchen mitnehmen. Doch heute stehen nur wenige Menschen an. „Sie sehen ja, warum“, deutet sie auf die Haltestelle vor der Tür. Rund die Hälfte der Leute haben bisher hier vorbeigeschaut - „kein Vergleich zu sonst“, sagt sie.

Kein Vergleich ist auf manchen Hauptverkehrsstraßen auch der Verkehr. Während man am Kassenberg noch einigermaßen vorankam, ist die Duisburger Straße in beide Richtungen dicht wie ein verstopfter Abfluss. In beide Richtungen schiebt sich Wagen an Wagen voran.

Auf Mülheims Straßen merkte man den fehlenden Nahverkehr an einigen Stellen wie hier an der Duisburger Straße von und in die Innenstadt.
Auf Mülheims Straßen merkte man den fehlenden Nahverkehr an einigen Stellen wie hier an der Duisburger Straße von und in die Innenstadt. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

Und an den Schulen? Einige Eltern sind gut organisiert

Am fehlenden Schulverkehr - denn auch die Schulbusse blieben am Dienstag auf dem Betriebshof - allein hat es nicht gelegen, aber auch: Die Ruhrbahn hatte zwar die Busse im Notfallplan auch die weiterführenden Mülheimer Schulen anfahren lassen, doch eben nicht in der üblichen Größenordnung.

In Speldorf richtete eine Elterninitiative untereinander Taxi-Fahrten für den Weg zum Elsa-Brändström-Gymnasium in Oberhausen ein. Seit der verkorksten Umstellung im Mülheimer Nahverkehrsplan, der nunmehr teilweise wieder verbessert worden ist, sei man das ja eh gewohnt, merkt Verena Faust von der Speldorfer Initiative an.

„Einige Eltern sind sowieso gut organisiert und haben untereinander Elterntaxis eingerichtet“, bestätigt auch Heike Quednau, Leiterin der Luisenschule. Deren Einzugsgebiet ist unter anderem Selbeck, Saarn und Speldorf. Doch in einigen Fällen klappte es auch nicht, sagt die Leiterin und hat Verständnis: „Wir können nicht verlangen, dass Schülerinnen und Schüler zwei Stunden zur Schule laufen. Wenn jemand glaubwürdig erklären kann, warum er nicht kommen konnte, wird das akzeptiert.“ Gerade sei Abi-Klausur-Phase an der Schule, aber niemand nutze wohl den Streik als Ausrede: „Die meisten sind ja froh, wenn die Klausuren endlich hinter ihnen liegen.“

Leiterin der Gesamtschule Saarn kritisiert Informationspolitik der Ruhrbahn

An der Gesamtschule Saarn bestätigt Leiterin Claudia Büllesbach eine ähnliche Situation: Nicht wenige Schüler, die normalerweise aus Styrum oder Heißen nach Saarn kommen, mussten Zuhause bleiben, „die hätten sonst zwei Stunden Fußweg vor der Brust gehabt“. Ungefähr ein Drittel seien betroffen - je nach Jahrgang. Problematischer sei aber der Rückweg - „wir hatten beim vergangenen Streik die Situation, dass Schüler erst um 19 Uhr zuhause waren, weil auch die Notfallbusse Verspätung hatten.“

Und auch diesmal kann Büllesbach über die Informationspoltik der Ruhrbahn nur den Kopf schütteln: „Ich konnte am Montag vor dem Streik niemanden beim Kundencenter erreichen, der mir einen Notfallplan nennen konnte.“ Auch der Schulträger - die Stadt - sei nicht informiert gewesen. „Deshalb konnte ich den Schülerinnen und Schülern nicht einmal sagen, wie die Notfallbusse fahren“, kritisiert Büllesbach.

Auch manche Nebenstraße im Umfeld von Schulen war dicht. Eltern organisierten Taxifahrten.
Auch manche Nebenstraße im Umfeld von Schulen war dicht. Eltern organisierten Taxifahrten. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

Pendlerin: „Nur 20 Minuten Verspätung - geht eigentlich“

Zurück an die Haltestelle Stadtmitte: Dort trudelt nach einer halben Stunde der erste orangefarbene Bus ein - ein inzwischen bekannter Subunternehmer. 20 Menschen steigen aus, ebenso viele ein. Ein zweiter in Rot mit dem Logo der Deutschen Bahn schließt hinten an.

Auch in Gegenrichtung schauen Leute auf - da kommt `was, endlich: „Ich bin nur 20 Minuten hinterher“, sagt eine Pendlerin, die „von außerhalb“ nach Mülheim gekommen ist. Der Blick schweift kurz über die Uhr ihres Smartphones - das gehe eigentlich für einen Streiktag, meint sie.

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