Mülheim.
Der wachsende Autoverkehr ist auch klimatisch gesehen eines der größten Sorgenkinder in der Stadt. Bisher steigt die Zahl der Pkw mit fossilen Verbrennermotoren jedes Jahr um ein Prozent, die der Lkw sogar um zwei. Ende 2021 gab es rund 110.000 Kraftfahrzeuge in Mülheim, bis 2035 wären es 124.000, wenn das so weiter ginge. Gegen diese Entwicklung müsste die Stadt nun vorgehen, um die Auswirkungen auf das Klima einzudämmen und Lebensqualität zu schaffen. Das Klimakonzept, das die Politik im Dezember beschließen soll, sieht zum Teil drastische Einschränkungen des Autoverkehrs vor.
Eine Stellschraube, die nicht jedem gefallen dürfte: die Reduzierung der Fahrleistung um 19 Prozent. Konkret: Mülheimerinnen und Mülheimer müssten auf jede fünfte Fahrt mit dem fossil betriebenen Vehikel verzichten, wenn die Stadt das ehrgeizige Ziel, bis 2035 klimaneutral zu werden, erreichen will. Doch hier liegt ein starker Ansatzpunkt. Denn der Verkehr in Mülheim ist hinter der Industrie und den Privathaushalten der drittgrößte Erzeuger von Treibhausgasen (2019: 359.366 Tonnen CO2) und verantwortlich für ein Viertel der städtischen Treibhausgasemissionen.
Viele Mülheimer würden heute schon lieber weniger Auto fahren
Zwar gehören auch mehr E-Fahrzeuge auf der Straße zu den Zielen der klimaneutralen Stadt -- ihr Anteil soll jährlich um sechs Prozent steigen. Doch jede vermiedene Autofahrt von zehn Kilometern - so die Stadt - würde zusätzlich zum Platz auf der Straße auch rund 1,4 Kilogramm CO2 einsparen; und würden 500 Menschen jede Woche 50 Kilometer mit dem Bus statt dem Auto fahren, sparte das sogar 182 Tonnen. Jede Automeile weniger ist also eine zentrale Maßnahme für den Klimaschutz. Die gute Nachricht: Viele wären schon heute dazu bereit - wenn nur die Alternativen besser wären.
Je nach Stadtteil würden sogar rund 44 Prozent der Befragten die eigene „Karre“ stehen lassen, so geht es aus einer Haushaltsbefragung hervor. Hier steckt eine der großen Herausforderungen für Mülheim: Denn dafür müsste der Nahverkehr nicht nur günstiger sein, sondern vor allem das Angebot an Bus- und Bahnlinien besser werden. Auch mehr Carsharing könnte den Verzicht aufs eigene Auto erleichtern. Und nicht zuletzt, gaben die Befragten an, bräuchte es gut ausgebaute Radwege, um das Auto häufiger stehen lassen zu können.
Was die Stadt bis 2025 plant: Fahrradstraßen, Tempo 30, mehr Kunden in Bus und Bahn
Alles auf einmal wird es nicht geben. In einem „Transformationspfad“ hat die Verwaltung aber die notwendigen Schritte für die nächsten zwölf Jahre festgelegt. Bis 2025 sollen die Konzeptarbeiten für die künftige Ladeinfrastruktur, eine autoreduzierte Stadt, einen Nahverkehrsplan mit dem Ziel, 30 Prozent mehr Fahrgäste zu erreichen sowie dem Ausbau von Mobilstationen erledigt sein.
Zeitgleich soll an den Alternativen gearbeitet werden: Jährlich fünf neue Fahrradstraßen sollen in der Stadt entstehen, fünf Prozent mehr Fahrgäste als noch 2023 soll der Nahverkehr bis dahin erreichen. Vergünstigte Tickets für Großveranstaltungen etwa sollen zum Umstieg verleiten. Mit 600 Ladestationen will die Stadt mehr Anreize für E-Autos setzen.
Und auch mit sanftem Druck plant die Stadt, das Gewicht vom Auto zu anderen Verkehrsformen zu verschieben. Autofahren wird weniger bequem: So soll das Tempolimit 30 ausgeweitet werden, die Möglichkeit, auf dem Gehweg zu parken, wird weiter eingeschränkt. Und zumindest die Frage, ob Mülheim eine autoarme oder sogar -freie Innenstadt wird, muss die Politik in den nächsten zwei Jahren beantworten.
Was die Stadt bis 2030 plant: weniger Durchfahrtsstraßen und Parkplätze, Fahrrad wird beschleunigt
Bis 2030 sind dann weitere, spürbarere Beschränkungen für das Auto geplant. Mit Stichstraßen will man Wohnstraßen vom Durchgangsverkehr frei halten. Für die Bewohner bedeutet das ruhigere Straßen und mehr Lebensqualität. Parkraumkonzepte, wie man sie in der Altstadt und im Südviertel kennt, werden ausgeweitet. Doch Parkplätze selbst soll es weniger geben: minus zehn Prozent im öffentlichen Straßenraum - denn ohnehin sind schon heute die Parkplätze etwa in der Innenstadt an einigen Stellen nur zu 70 Prozent ausgelastet. Auch kostenlos soll es die Stellflächen nicht mehr geben, dagegen aber Vergünstigungen für Elektro- und Carsharing-Fahrzeuge.
Auf der anderen Seite steigen die Anreize für die Alternativen: Mit dem Rad kann man schneller vorankommen, weil die Ampeln auf das Tempo abgestimmt werden und die Fahrradinfrastruktur nicht nur ausgebaut, sondern auch hochwertiger werden soll. Und für E-Fahrzeuge sollen zumindest die ersten 60 von insgesamt 150 Schnellladesäulen in der Stadt bereitstehen.
2035: Wird man das Auto noch vermissen?
Ob das so hinhaut? Für die dritte Phase bis 2035 zeichnen die Planer eine grüne Vision: Dann sollen die Straßenbahnnetze gestärkt sein, der Individualverkehr läuft zu 75 Prozent elektrisch, weil es 2000 öffentliche Ladepunkte gibt. Mobilstationen - 20 potenzielle Orte hat der VRR für Mülheim entdeckt - sind im gesamten Stadtgebiet einfach zu erreichen, so dass man rund 20 Prozent weniger Parkplätze bräuchte. Mehr Platz also für Menschen und Grün. Und ja: Dann sind auch die 19 Prozent weniger Fahrleistung keine große Herausforderung mehr. Ohnehin scheint das gar nicht mal so viel: Statt rund 11.000 Kilometern im Jahr müsste jedes Fahrzeug schließlich nur noch 9672 Kilometer fahren.
Was kosten die Maßnahmen?
Für die Verbesserung der Auto-Alternativen und den Klimaschutz muss die Stadt in den kommenden Jahren in Personal und Sachkosten investieren, etwa für die Erstellung von Konzepten, Sanierungsmanagement, Öffentlichkeitsarbeit. Auch die Umsetzung muss als regelmäßiger Posten bis 2035 im Haushalt eingestellt sein. Noch hat die Politik den vorliegenden Entwurf nicht beschlossen, und auch erst danach wird die Planung für die Umsetzung ab 2025 mit der wirtschaftlichen Lage der Stadt abzustimmen sein.
Geplant ist, dass eine mit den Fachämtern abgestimmte Arbeitsplanung für alle Maßnahmen und Handlungsschritte erstellt wird, die eine Zeit- und Kostenkalkulation über zunächst drei Jahre enthält. Diese soll dann jährlich fortgeschrieben werden. So liegen In der aktuellen Entwurfsphase der Klimaschutzplanung noch keine Gesamtsummen für die Maßnahmenpakete vor, zumindest aber überschlägige Einschätzungen der Stadt.
So veranschlagt die Stadt für den Bau von Radwegen etwa 200 Euro pro Meter. Eine Ladesäule im öffentlichen Raum mit zwei Ladepunkten schlägt mit 10.000 Euro zu Buche. Pro Mobilstation für ein Quartier müssen zwischen 10.000 und 50.000 Euro kalkuliert werden. Die Erstellung von Parkraumkonzepten und ihrer -bewirtschaftung wird wohl bis zu 200.000 Euro plus weitere für mögliche Baumaßnahmen kosten. Am Ende sorgt die Bewirtschaftung aber auch für künftige Einnahmen.
Auch im aktuellen Haushaltsentwurf sind der Investitionen für die Mobilitätswende vorgesehen: Radabstelloffensive: Fahrradhäuser 145.500 Euro, Fahrradbügel 192.800 Euro; die Belagserneuerung des Fuß-/Radverkehrssteg an der Hauskampstraße kostet 240.000 Euro. Für den Radweg Kaiserstraße sind 1.084.000 Euro vorgesehen, der barrierefreier Umbau von Bushaltestellen kostet 818.750 Euro und für die Fahrradbrücke über den Heuweg im Zuge des IGA-Projekts „Grüner Stadtring“ müssen 172.800 Euro ausgegeben werden.
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