Mülheim. Wärme aus der Ruhr oder vom Feld? Mülheim plant ein klimaneutrales Wärmenetz. Wie sich das für Hauseigentümer und Mieter auswirkt.

Mit großen Schritten will die Stadt den Klimaschutz vorantreiben. Die sind auch dringend geboten, wenn Verwaltung und Politik ihr Versprechen einhalten wollen, die Stadt bis 2035 klimaneutral umgebaut zu haben. Alternative Wärme- und Stromerzeugung sowie die Sanierung von Gebäuden sind allein schon große Aufgaben, für die es Fachkräfte – das nächste Problem – braucht und nicht zuletzt die Bereitschaft der Mülheimer. Schaffen wir das? So ist zumindest der Plan.

Sieben Handlungsfelder – von erneuerbaren Energien bis Verkehr – macht das neue Klimaschutzkonzept auf, das bis Ende des Jahres im Rat beschlossen werden soll. Gerade auf die kommunale Wärmeplanung dürften die meisten Mülheimer Privathaushalte gespannt schauen. Schließlich ist sie ein entscheidender Baustein für das gerade beschlossene Heizungsgesetz, das ab dem 1. Januar 2024 startet und in vier Jahren einen Anteil der erneuerbaren Energien von 65 Prozent für neue Heizungen in Gebäuden vorschreibt.

Vier Wärmequellen aus erneuerbarer Energie stehen Mülheim zur Verfügung

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Zwar ist klar, dass bestehende Gas- und Öl-Heizungen davon bis in die weite Zukunft hinein nicht ausgetauscht werden müssen, so lange sie repariert werden können. Doch Öl und Gas werden zwangsläufig teurer werden, wenn die CO2-Steuer steigt. Eine zumindest teilweise klimaneutrale Nahwärme aus solchen Energiequellen, die die in den Häusern schon vorhandenen Leitungen nutzen könnten, würde den meisten Eigentümern die Sorge nehmen, etwa kostspielig in neue Wärmepumpen-Systeme investieren zu müssen.

Das Positive vorweg: Mülheim hat bereits in den vergangenen Jahren eine Analyse zur Klimaneutralität mit möglichen Handlungsfeldern beauftragt, die im vergangenen November fertig wurde. Die Ergebnisse des Fraunhofer Instituts Ifam und der Energielenker können gerade bei der kommunalen Wärmeplanung helfen – ein Vorsprung, den andere Städte noch aufholen müssen.

Was also plant die Stadt bei der Wärmeversorgung und wann soll das umgesetzt werden? Vier erneuerbare Wärmequellen für Mülheim hat ein Gutachten des Fraunhofer Instituts bereits ausgewiesen. Das größte Potenzial liegt demnach in der Erde: 667 Gigawattstunden im Jahr könnten über große Erdwärmepumpen vor allem für das Gewerbe sowie Ein- und Zweifamilienhäuser abgedeckt werden.

In Mannheim, Baden-Württemberg, ist vor wenigen Tagen das Großkraftwerk mit einer Flusswärmepumpe in den Betrieb gegangen. Auch Mülheim könnte den Fluss für sich nutzen.
In Mannheim, Baden-Württemberg, ist vor wenigen Tagen das Großkraftwerk mit einer Flusswärmepumpe in den Betrieb gegangen. Auch Mülheim könnte den Fluss für sich nutzen. © dpa | Uwe Anspach

Standortvorteil: So kann Mülheim Wärme aus der Ruhr beziehen

Das zweitgrößte Potenzial könnte über Flusswärmepumpen in der Ruhr gehoben werden, denn der Fluss erreicht selbst im Winter noch eine Wassertemperatur von drei Grad, die es an Wärmetauscher großer Wärmepumpen abgeben kann. An einigen Orten in Deutschland entstehen gerade solche Flusswärmepumpen. So ist just in Mannheim die erste Flusswärmepumpe in Betrieb gegangen, die bereits 3500 Haushalte mit Wärme versorgt. Siemens Energy war daran beteiligt. In Mülheim wäre auch die Medl ein Partner, um Flusswärme abzuschöpfen.

Und nicht zuletzt könnte die Solarthermie auf Mülheims Dächern und auf Freiflächen knapp 180 Gigawattstunden im Jahr an Wärme erzeugen. Dort aber steht sie nicht selten in Konkurrenz zur Stromerzeugung durch Photovoltaik, wobei PV-Anlagen – anders als Solarthermie – nicht zwingend eine Südausrichtung für die Energieerzeugung benötigen.

Zwar hat die Stadt die Freiflächen für Photovoltaik bereits vor Jahren ausgemacht. Um aber die optimale Nutzungsweise zwischen PV und Solarthermie abwägen zu können, will die Stadt mit einem Ingenieur- und Planungsbüro sowie dem Wärme- und Stromnetzbetreiber zusammenarbeiten. Dann müssen noch planungsrechtliche Grundlagen geschaffen werden. Bis ins zweite Quartal 2026 – also noch rund drei Jahre – will sich die Stadt dafür Zeit nehmen.

Wie Mülheim die Sanierung von tausenden Immobilien organisieren will

Doch Mülheims Immobilienbesitzer können allein darauf nicht warten. Denn ohne eine Sanierung – also Dämmung von Außenwänden, Fenstern, Dächern und Kellern – vieler privater Immobilen können die Erneuerbaren den enormen Hunger nach Energie nicht stillen. Eine Sanierungsquote jährlich von 2,1 Prozent müsste bis 2035 erreicht werden. Für die Klimaneutralität müsste zudem der Anteil der Wärmepumpen auf 42 Prozent steigen – das bedeutet 1700 neue Wärmepumpen pro Jahr.

Um das alles zu steuern, braucht es eine gezielte Ansprache und Organisation. Und: Fachkräfte. Mülheim will sich dabei an ein schon erprobtes Konzept der „Klimaquartiere“ halten, wie es etwa in Dümpten mit den lokalen Akteuren SWB, Kreishandwerkerschaft, Medl, MWB und Haus und Grund umgesetzt wurde. Wenigstens fünf Quartiere etwa in Styrum, Broich, Speldorf sollen definiert und bis 2035 energetisch erneuert werden.

So will Mülheim den Fachkräftemangel anpacken

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Doch reichen die Fachkräfte dann noch aus, um die übrigen Mülheimer Eigentümer zu beraten und Immobilien zu sanieren? Mit einer Ausbildungsinitiative im Handwerk will die Stadt daher um potenzielle Fachkräfte werben, sie schulen und weiterbilden. „Dafür soll in Kooperation mit der Kreishandwerkerschaft Mülheim, der Industrie- und Handelskammer, der Wirtschaftsförderung und der Berufsberatung der Arbeitsagentur eine „Ausbildungsinitiative Handwerk“ entwickelt und in bereits vorhandene Angebote integriert werden“, heißt es. Spezielle Programme für Studienabbrecher sollen Quereinsteigende ansprechen.

Der Maßstab der Klimaneutralität muss am Ende auch konsequent bei Neubauten umgesetzt werden. Doch weder sind Klimaschutzmaßnahmen in allen bisherigen Bebauungsplänen berücksichtigt worden noch gibt es im Mülheimer Stadtgebiet flächendeckend B-Pläne. Auch hier hat die Stadt viel nachzuholen und wird für die Umsetzung mehr Personal benötigen. Die Kosten hierfür? „Nicht nennbar“, heißt es im Klimaschutzkonzept, „aber hoch“.

Und schon werden auch im politischen Raum erste Stimmen laut, die am Termin 2035 kratzen wollen – zu groß sei die Aufgabe, zu teuer. Auch Umwelt- und Baudezernent Felix Blasch weiß: „Ja, es ist eine Herausforderung, das zu schaffen.“ Aber klar ist ihm ebenso: „In unser aller Interesse und dem nachfolgender Generationen müssen wir die Aufgaben angehen“, ruft der Dezernent im Klimaschutzkonzept auf. „Es gilt gemeinsam und zügig, aber auch sozial verantwortlich zu handeln.“ Um aber ab 2024 handeln zu können, müssen Verwaltung und Politik das Konzept bis Ende dieses Jahres beschließen.

Mülheim und das Klima – die Debatte