Mülheim. Skateboardfahren steht für Abenteuer, Coolness und Lifestyle. Warum eine Mülheimer Gesamtschule den Trendsport jetzt in den Unterricht aufnimmt.

Handstand, Radschlag, Aufschlag - solche Begriffe kennt man aus dem Sportunterricht. An der Gustav-Heinemann-Gesamtschule werden jetzt auch Kickflip, Backflip und Slides gelehrt. Denn dort gehört ab sofort Skateboarding zum Schulsport. Das Besondere daran: Lehrer und Schüler müssen diesen Sport beide noch lernen. „Das funktioniert nur auf Augenhöhe“, sagt Nadine Dziobek. Die Sportlehrerin hat den Trendport an ihre Schule geholt und ist nach einer Woche intensivem Trainingscamp mit 249 Siebtklässlern begeistert. „Es gab überhaupt keine Konflikte und keine Anlaufschwierigkeiten. Alle wollten sofort mitmachen.“ Ein Phänomen, das man beim Badminton und Brennballspiel im Sportunterricht möglicherweise nicht immer erlebt.

„Wir sind für jede sportliche Aktivität dankbar, auf die unsere Schüler Bock haben“, sagt Schulleiter Thomas Ratz ganz offen und ehrlich. „Wir merken in den sportmotorischen Eingangstests, dass sich die Kinder weniger bewegen. Deshalb ist es so wichtig, Trendsportarten anbieten zu können. Das reißt mit.“ Bislang habe man an der Schule tolle Erfahrungen mit dem neuartigen Flag Football gemacht, einer Art American Football ohne Körperkontakt.

Sportlehrer müssen sich umgewöhnen: Schüler bringen sich den Sport selbst bei

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Das Skateboarding wird nun zunächst in einer zweiwöchigen Projektphase an der Schule eingeführt. Speziell für die Lehrer wird es in der kommenden Woche eine Fortbildung auf den Boards geben. Danach entscheidet die Fachkonferenz, wie der Trendsport im Fachunterricht verankert werden kann. „Der größte Unterschied ist sicherlich, dass es hier nicht darum geht, bestimmte Übungen zu machen. Es geht darum, den sicheren Umgang mit dem Board zu lernen. Alles andere erarbeiten sich die Kinder selbst“, erklärt Sportlehrer Sascha Quade. Ein weiterer positiver Nebeneffekt: Es sei erstaunlich, wie rücksichtsvoll die Schülerinnen und Schüler miteinander umgingen.

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„Skateboarden fördert die Entwicklung von starken, selbstbestimmten Persönlichkeiten, denn die ganzen coolen Tricks muss man sich selbst erarbeiten. Der Weg dahin wird in Schürfwunden gezählt“, sagt Oliver Noack augenzwinkernd. Sein Verein „skate-aid“ hat die Einführung des Skateboarding an der Mülheimer Schule erst möglich gemacht. Die von Skate-Legende Titus Dittmann gegründete Initiative schenkt der Schule nicht nur Ausrüstung für 30 Kinder inklusive Schonern und Helmen. „Skate-aid“ stellt auch für zwei Wochen ein Trainer-Team und eine mobile Halfpipe, also eine sichelförmige Rampe, zum Üben zur Verfügung.

Mülheimer Lehrerin: Bin ganz anders mit Schülern verbunden

Oliver Noack ist davon überzeugt, dass sein Lieblingssport Barrieren bricht. An der Gustav-Heinemann-Gesamtschule geht das Konzept laut Lehrerin Nadine Dziobek auf. „Wenn einer hinfällt, helfen ihm die anderen auf. Auch als Lehrerin bin ich ganz anders mit den Schülern verbunden. Die haben mir schon Tipps gegeben, wie ich besser werde.“ Außerdem wurde laut Schulleiter Thomas Ratz Wert darauf gelegt, dass auch die inklusiven Kinder abgeholt werden. Sie leisten Hilfestellung oder drehen ein Video für die schuleigenen Social Media Kanäle.

Kickflip heißt der Trick, bei dem man das Board mit den Füßen umdreht und draufspringt. Danylo (12) hat’s schon drauf.
Kickflip heißt der Trick, bei dem man das Board mit den Füßen umdreht und draufspringt. Danylo (12) hat’s schon drauf. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Und wie steht der Schulleiter zur Diskussion um die Bundesjugendspiele, die ab 2024 in der Grundschule keinen Wettkampfcharakter mehr haben sollen? „Es ist für Kinder ein natürlicher Reflex, sich zu messen.“ Sportlehrer Sascha Quade pflichtet ihm bei: „Ich glaube nicht, dass man den Wettkampfgedanken ganz rausbekommt. Die Kinder wollen am Ende ein Ergebnis haben.“ Er ist selbst Vater zweier Söhne und erlebt gerade, dass seit neuestem beim Kinder-Fußball keine Ergebnisse mehr festgehalten werden, um den Leistungsdruck zu mindern. Das komme nicht bei allen Kindern gut an.

Beim Skateboarding gibt es keine Ergebnistabellen

Vielleicht ist auch die Entwicklung weg von Ergebnistabellen und hin zum persönlichen Erleben ein Aspekt, der für Sportarten wie Skateboarding spricht. Denn dabei geht es weniger darum, sich an anderen zu messen, als vielmehr die eigenen Grenzen zu überwinden. Bleibt die Frage, wie bereit der öffentliche Raum für Skateboarding ist. Die alte Skateanlage am Schulzentrum in Saarn musste einem Schulersatzbau weichen. Eine neue Skateanlage in Saarn muss noch gebaut werden. Die Gesamtschüler können zunächst weiter auf dem Schulhof üben. Wobei Oliver Noack darauf hinweist, dass sich auch sämtliche öffentliche Flächen zum Üben eignen. Ein Lehrer ergänzt: „Ich hoffe, dass sich die Schüler auch in ihrer Freizeit zum Skaten treffen. Das ist eine richtig gute Möglichkeit, sich zu beschäftigen.“

Skateboards im Unterricht

  • Skateboarding im Unterricht ist ein Thema, das Fahrt aufnimmt. So bietet unter anderem die Deutsche Sporthochschule in Köln Lehrerfortbildungen an. Laut Hochschule fördert Skateboarding die Frustrationstoleranz, die Körperkontrolle und ist ein anspruchsvolles Ganzkörper-Workout. Daneben stärke es die Selbstwirksamkeit, neue Tricks zu lernen. Hinfallen sei kein Problem, sondern Teil des Sports.
  • Skateboarding ist seit 2020 olympische Disziplin.
  • Der Verein „skate-aid“ wurde von der deutschen Skate-Legende Titus Dittmann gegründet und ist mittlerweile in 18 Ländern aktiv. Unter anderem lernen Mädchen in Afghanistan zu skaten. Neben Schulprojekten bietet der Verein therapeutisches Skaten für Kinder mit ADHS und baut öffentliche Skateparks als sichere Räume für Integration und Inklusion.
  • Mehr Infos auf: www.skate-aid.org