Mülheim. Mülheim steckt mitten in der Wärmeplanung. Ziel ist es, Gas- und Öl-Heizungen in den Haushalten bis 2035 zu ersetzen. Was kommt stattdessen?
Zwar spricht gerade kaum jemand mehr von Wärmepumpen und klimafreundlichen Heizungsformen seit der neue Heizungsgesetzentwurf im Bund erst zerredet und dann auf den September vertagt worden ist. Doch die Frage, womit denn die Mülheimerinnen und Mülheimer in fünf bis zehn Jahren heizen werden, wenn nicht müssen, bleibt im Raum. Der Stadt steht eine immense Aufgabe bevor.
Denn bis 2025 sollen die Kommunen einen kommunalen Wärmeplan vorlegen. Klar ist in beiden Fällen: Ausgerechnet die private Erdgasheizung im eigenen Haus wird zukünftig nur eine marginale Rolle spielen, schon allein, weil die Kosten für Gas bald spürbar steigen werden.
Steigende CO2-Steuer wird bitter für die Erdgasstadt Mülheim
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Denn zum einen wird spätestens am 1. April 2024 – nach heutigem Stand – die vom Bund beschlossene ermäßigte Umsatzsteuer von sieben Prozent wieder auf 19 Prozent hochgesetzt. Zum anderen soll die Besteuerung von CO2 bis 2025 noch einmal drastisch angehoben werden von derzeit 30 Euro pro Tonne auf 55 Euro. Allein durch die gestiegene CO2-Steuer würden die Haushalte dann um 300 bis 600 Euro im Jahr zusätzlich belastet – so hat es der Eigentümerverband Haus und Grund berechnet.
Für die Mülheimerinnen und Mülheimer kann das besonders bitter ausfallen, denn Mülheim ist eine Erdgasheizungsstadt. Aktuell wird die Gesamtwärmemenge in der Stadt zu mehr als 60 Prozent durch Erdgas abgedeckt – versorgt werden wenigstens 68.000 Haushalte –, zu fast 20 Prozent mit Öl und gerade einmal zu rund 15 Prozent mit Nahwärme (darunter etwa 5000 Haushalte). Was aber können die Alternativen sein?
Mülheim hat sich Klimaneutralität bis 2035 zum Ziel gesetzt
Das wird sich in Mülheim auch daran messen, wann die Stadt ihr ehrgeiziges Ziel, klimaneutral zu werden, erreichen will. Die Politik legte sich 2020 auf das Jahr 2035 fest mit dem damals nicht zu erahnenden Vorteil, dass man eine Energiewende bereits angestoßen hatte, bevor der Krieg in der Ukraine die Notwendigkeit weiter verschärfte.
Dabei sind Luft-Wasser-Wärmepumpen ein zentraler Baustein. Rund 1000 im Jahr müssten installiert werden, damit Mülheim bis 2045 (26.000 Exemplare) klimaneutral wird, 1700 hingegen, wenn es schon 2035 umgesetzt werden soll. Das sind knapp sechs pro Tag. Startpunkt? Vorgestern.
Keine Gas und Öl mehr: Das sind Mülheims stärkste Alternativen
Doch wie eine Studie des Fraunhofer IFAM für die Stadt ermittelte, stehen Mülheim potenziell in Zukunft einige alternative Quellen zur Verfügung, um Gas und Öl zu ersetzen. Zum einen Biomasse aus der Forst-, Land- und am meisten aus der Abfallwirtschaft: Sie können rund 78,6 Gigawattstunden im Jahr (GWh/a) liefern. Ein deutlich größeres Potenzial steht vielen Gebäuden zum anderen durch Erdwärme zur Verfügung. Gut 15.500 Gebäude in Mülheim können laut Analyse der Stadt davon profitieren – nahezu 667 Gigawattstunden an Wärmebedarf im Jahr wären damit abgedeckt.
Die dritte Quelle für Mülheim bildet Wärme aus Industrie (24 GWh/a), Abwasser (85 GWh/a) und mehr noch Flusswärme (220 GWh/a). Zwei Standorte für Flusswärme sieht das Fraunhofer IFAM am Wasserwerk Kahlenberg und Raffelberg. Die damit dem Flusswasser entzogene Wärme um ein Kelvin schätzen die Experten als unproblematisch ein.
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Doch spätestens mit dieser Quelle wird eines deutlich: Das künftige Mülheimer Wärmenetz wird deutlich dezentraler zu organisieren sein, als bisher. Um zu ermitteln, wo welche Nah-Wärmequelle vorrangig zur Verfügung stehen kann, hat man die Stadt in rund 82 Cluster aufgeteilt. Flusswärme spielt entlang der Ruhr eine Rolle, die Abwärme der Industrie hingegen verorten die Experten im Umfeld des Mannesmann- und Vallourec-Geländes, Blockheizkraftwerke könnten in Broich, Heißen, Raadt oder an der Saarner Kuppe eine tragende Rolle spielen.
In diesen Mülheimer Stadtteilen spielen Wärmepumpen eine große Rolle
Doch ebenso deutlich wird: Die viel gepriesene Gasheizung, die Gas durch Wasserstoff ersetzen können soll, spielt für Mülheimer Haushalte in diesen Szenarien direkt keine Rolle. Das Gasnetz werde sich der Prognose zufolge fast vollständig auflösen. Jedoch geht die Analyse des IFAM davon aus, dass Nahwärme ab 2036 von Biomethan auf Wasserstoff umgestellt werden könnte, sprich in Kraftwerken eingesetzt wird, welche die Netze mit Wärme versorgen.
Potenziell kann Wärme auch dezentral durch Solarthermie auf Mülheims Dächern und stellenweise auf Freiflächen im Norden und Südosten der Stadt erzeugt werden. Das Potenzial sieht IFAM bei 122,8 Gigawattstunden im Jahr. In kalten Jahreszeiten allerdings sinken auch hier die Erträge ähnlich wie bei Photovoltaikanlagen.
Dagegen wird es ohne die Wärmepumpe in einigen Teilen Mülheims wohl nicht gehen, weil andere Nahwärmequellen nur schlecht verfügbar sein werden. Egal, ob die Stadt bis 2035 oder erst zehn Jahre später die Klimaneutralität erreichen wird: Sie wird als Sole-Wasser, Luft-Wasser oder Teil einer Hybridheizung einen Anteil von mehr als 40 Prozent haben, und damit fast soviel wie die Nahwärme. Vorrangig in den grünen Stadtbereichen links und rechts der Ruhr wie Speldorf, Saarn, Selbeck, Holthausen wird sie nach aktuellem Stand die Hauptrolle spielen.
Stadt arbeitet mit Medl und Westenergie die Wärmeversorgung weiter aus
Die Grundlagen für eine Planung hat das Papier des Fraunhofer IFAM geschaffen. „Für das weitere Verfahren ist eine Arbeitsgruppe ‘Wärme’ gegründet worden, in der die Stadtverwaltung und externe Akteure wie Medl und Westenergie die gebildeten Cluster weiter differenzieren und auch Flächen identifizieren, die für die Dekarbonisierung der Wärme benötigt werden“, erläutert die Leiterin der Stabstelle Klimaschutz, Ulrike Marx. Darüber hinaus laufe derzeit ein Beteiligungsverfahren mit interner und externer Beteiligung. Wann es konkrete Ergebnisse geben wird, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen.
In der ersten Septemberwoche aber dürften die Mülheimer Wärmeplaner mit großer Aufmerksamkeit nach Berlin schauen, wenn im Bund das Heizungsgesetz beschlossen werden soll. Denn eines hat das Gutachten des Fraunhofer IFAM bereits im vergangenen November angemahnt: Für Mülheim wird es schwierig, die Klimaneutralität bis 2045, geschweige denn bis 2035 zu erreichen, wenn der Wärmemarkt sich weiterhin ohne ordnungspolitische Vorgaben frei entwickeln kann.