Mülheim/Essen. Bus- und Bahnfahren hat seine Tücken – vor allem für ältere Menschen. Mülheims Ruhrbahn bietet eine Art Busbootcamp für Senioren an. Spannend.

Wie kommt man voran, wenn man älter und mit Bus- und Bahn unterwegs ist? Die Ruhrbahn bietet Mobilitätstrainings für reife Fahrgäste an. Zwölf Senioren gehen bei Busfahrerin Gertrud Lüttkenhorst noch einmal in die Lehre. Fünf von ihnen haben ihren Rollator dabei, zwei sind mit Stock angetreten - so weit, so gut. Aber ist der demografische Wandel auch beim öffentlichen Personennahverkehr angekommen? Ja.

Beziehungsweise auch nein: „Bitte, stecken Sie weder Schirm noch Hand, Arm, Bein oder sonst etwas zwischen die sich automatisch schließenden Bus- und Bahntüren!“, lautet Lüttkenhorsts erste Botschaft. Ein Klassiker, denn Türen denken nicht an Senioren. Ein Video zeigt, was mit einem Schirm passiert, der in einer geschlossenen Tram-Tür feststeckt.

Rätseln beim Busfahren in Mülheim: Das macht die blaue Taste

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Das macht beim Schirm „Knick“ - und bei den Trainees Eindruck. Nicht auszudenken, wenn es sich um die eigene Hand, das Bein oder den Arm handeln würde. Zum Merken und Mitschreiben wird Lüttkenhorst noch einmal deutlich: „Nichts ist so wichtig, dass Sie dafür ihr Leben riskieren sollten.“

Dann geht’s aber in die Praxis: „Bitte einsteigen zur Sonderfahrt. Endstation: Betriebshof“, wo Lüttkenhorst den korrekten Ein- und Ausstieg mit Stock und Rollator üben lässt. Und wo man sich während der Fahrt hinsetzt, um keinen Hals- und Beinbruch zu erleiden. Busfahren kann gefährlich sein.

Wenn man nicht die Tricks drauf hat: „Wenn Sie einsteigen, drücken sie den blauen Knopf an der automatischen Schiebetür. Dann wird dem Fahrer signalisiert, dass ein Fahrgast mit Rollator oder Rollstuhl einsteigt. Und die Tür bleibt länger offen“, fordert Lüttkenhorst ihre reifen Trainees auf. Das gilt auch beim Ausstieg für die blaue Haltestellenstopptaste im Fahrzeug.

Geheimnisvolle blaue Taste: Viele wissen nicht, was sie bewirkt.
Geheimnisvolle blaue Taste: Viele wissen nicht, was sie bewirkt. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Tipps bei Vollbremsung: Gegen die Fahrtrichtung setzen

Für alle, die mit einem Stock unterwegs sind, rät sie: „Steigen Sie vorne beim Fahrer ein und bitten ihn, mit dem Abfahren zu warten, bis Sie sitzen.“

„Dass mit der blauen Taste habe ich bisher gar nicht gewusst. Allein dafür hat sich die Teilnahme an diesem empfehlenswerten Training schon gelohnt“, sind sich Trainingsteilnehmer einig. Doch die Bus- und Bahntrainerin hat noch mehr in petto: „Setzen Sie sich während der Fahrt nie auf ihren Rollator. Postieren Sie ihn auf der dafür vorgesehenen Freifläche und machen ihn an einem der dafür vorgesehenen Haltegurte fest. Und setzen Sie sich dann am besten gegen die Fahrtrichtung.“ Warum? So hat man bei einer Vollbremsung oder einem Auffahrunfall das geringste Verletzungsrisiko.

Eine Teilnehmerin bestätigt: „Stimmt. Ich habe diesen Fehler mal gemacht und bin bei einer Vollbremsung durch den Wagen geschossen. Gott sei Dank habe ich mich dabei nicht verletzt.“

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Auch gut zu merken: Für das Ein- und Aussteigen mit dem Rollator gilt wie beim Auto und der Garage: Einsteigen immer vorwärts und aussteigen rückwärts. Um sicherzugehen, sollte man sich mit einer Hand an der seitlichen Türstange festhalten. Den Rollator zieht man immer erst dann aus dem Wagen, wenn man mit beiden Beinen festen Boden unter den Füssen hat,

Ohne reife Fahrgastkritik geht die lehrreiche Sonderfahrt aber nicht zu Ende: Die lebenserfahrenen Fahrgäste fühlen sich von Fahrern ausgebremst, wenn diese sich weigern, Rollstuhlfahrer mitzunehmen und dafür die Rollstuhlrampe ihres Busses ausklappen müssen, weil der Fahrplan eingehalten werden muss.

Einstieg mit Rollator will geübt sein. Das trainieren übrigens auch Fahrer in der Ausbildung, um die Probleme von Menschen mit Gehhilfen zu verstehen. Ruhrbahn-Mitarbeiterin Gertrud Lüttkenhorst erklärt Gisela Wojciechowski (m.) und Ursula Vermeer, was zu beachten ist.
Einstieg mit Rollator will geübt sein. Das trainieren übrigens auch Fahrer in der Ausbildung, um die Probleme von Menschen mit Gehhilfen zu verstehen. Ruhrbahn-Mitarbeiterin Gertrud Lüttkenhorst erklärt Gisela Wojciechowski (m.) und Ursula Vermeer, was zu beachten ist. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Mobilität in Mülheim – das sind die Themen

Haltestellen ohne Kap auf offener Straße sind für Fahrgäste mit Gehhilfen ebenso eine Stolperfalle, wie Busfahrer, die nicht nah genug an die Bürgersteigkante heranfahren. Denn so entsteht eine Sicherheitslücke. Manche unterlassen es auch, das Fahrzeug für einen barrierearmen Ein- und Ausstieg abzusenken. Dabei gehört der Ein- und Ausstieg mit Rollator, mit Rollstuhl oder im Alterssimulationsanzug zur Pflichtübung der Fahrerausbildung.

Ruhrbahn-Mitarbeiterin Gertrud Lüttkenhorst hat Verständnis für ältere Menschen, kennt aber auch die Probleme der Fahrer.
Ruhrbahn-Mitarbeiterin Gertrud Lüttkenhorst hat Verständnis für ältere Menschen, kennt aber auch die Probleme der Fahrer. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Busfahrer ärgert: Fahrgäste, die zu nah an der Bordsteinkante stehen

Lüttkenhorst hört gut zu, will das für die nächste Kollegenschulung und die nächste Sitzung des Ruhrbahn-Arbeitskreises Barrierefreiheit mitnehmen. „Manchmal können Kollegen aber auch deshalb nicht nah genug an die Bordsteinkante heranfahren, weil wartende Fahrgäste auf der Straße oder zu dicht an der Bordsteinkante stehen“, wirbt Lüttkenhorst für die Perspektive des Fahrers.

Gut verstehen kann sie aber, dass sich die Senior-Fahrgäste bei der Ruhrbahn mehr Begleitassistenten und mehr funktionierende Rolltreppen und Aufzüge wünschen, die ihnen den Zugang zu manchen Haltestellen überhaupt erst möglich machen.

Die Ruhrbahn sammelt immer interessierte Fahrgäste für ein Mobilitätstraining mit Stock, Rollator und Rollstuhl. Ein neuer Trainingstermin kommt immer erst dann zustande, wenn sich ausreichend viele Personen, werktags zwischen 9 und 16 Uhr bei Ruhrbahn-Mitarbeiterin Andrea Graf unter der Rufnummer: 0201/2799163 angemeldet haben.